Autor: E.K.-L. L
Mit seinem Opus fegt der als „Rechter“ punzierte Schriftsteller durch das deutsche Feuilleton
Uwe Tellkamp, vielen Buchfreunden durch sein Werk Der Turm bekannt, tritt dieser Tage mit dem Roman Der Schlaf in den Uhren vor die Leserschaft. Da der Autor als rechts gilt, ist es kaum verwunderlich, dass viele Rezensenten das brandneue Buch nur mit Argwohn zur Hand nehmen.
Seine rechte Gesinnung – bereits 2008 im Buch Der Eisvogel durchscheinend–, so merken politisch korrekte Zeitgenossen pikiert an, habe Tellkamp schließlich 2018 vollends zur Schau gestellt: Bei einer Diskussion im Dresdner Kulturpalast zum Thema Meinungsfreiheit beklagte er, man werde hierzulande herablassend behandelt und ausgeschlossen, wenn man sich etwa zur Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge anders als ein von ihm definierter linker Mainstream äußerte. Dazu brachte er die hergeholte Zahl, 95 Prozent der Flüchtlinge flöhen nicht vor Krieg, sondern um in die deutschen Sozialsysteme einzuwandern.
Zurück zum Buch. Worüber schreibt Tellkamp? Laut Klappentext befinden wir uns im August 2015: Fabian Hoffmann (nebenbei: Die Figur kommt bereits im Turm vor) , der einstige „DDR“-Dissident, geht gedanklich auf Reise, analysiert Ordnungsvorstellungen und Prinzipien der Machtausübung, die Verflechtungen von Politik, Staatsapparat und Medien, beobachtet die Veränderungen im alltäglichen Leben. Immer mehr löst sich dabei seine Chronik von ihrem ursprünglich amtlichen Auftrag, streift zurück bis in das Dresden seiner Kindheit, in die stillstehende Zeit vor zwei Epochenjahren. Auf seiner Suche nach Ordnung und Sinn kämpft Fabian gegen die Windmühlen der Macht, die Fälschungen der Wirklichkeit, den Verlust aller Sicherheiten – und gibt doch den Traum von einer befreiten Zukunft nicht verloren.
Der Stil, dessen sich Tellkamp bedient, soll durch eine kurze Kostprobe beleuchtet werden:
… das Antiquariat mit seinen nelkengelb erleuchteten Fenstern, seinen mißtrauischen, geschulten und einsamen älteren Fräulein, die nur von Hermann Hesse und Goethe und Klaus Mann etwas hielten, weniger dagegen von Thomas Mann, die Schierlingsmienen aufsetzten, wenn jemand die hellgrün gebundene Friedrich-Wolf-Ausgabe in fünf Bänden zur Kasse schleppte, die an den Brillen rückten und die Säbel in ihren Augen blankzogen, wenn einer der baskenbemützten Herren oder pickelgeplagten Oberschüler, die schweigend und mit andächtig die Schräglage wechselnden Köpfen – je nach Leserichtung des Buchrückens – vor den Regalen standen, einen der finster drohenden Bände der Pflicht-MEGA, Marx-Engels-Gesamtausgabe, aus ihrem unter dem Staub der Jahre festgekrusteten Verbund brach …
Der neue Roman existiert in nuce bereits in der Erzählung gleichen Namens, mit welcher der bis dahin kaum bekannte Uwe Tellkamp den Ingeborg-Bachmann-Preis gewinnt. Erzählstrang ist eine Straßenbahnfahrt durch Dresden. Die Bachmann-Jury ist begeistert (Wir haben einen großen Autor entdeckt), mit seinen bildungsbürgerlichen Anspielungen löst Tellkamp bei vielen die Hoffnung aus, endlich sei der Nachfolger Thomas Manns oder Marcel Prousts für die nicht ganz glücklich wiedervereinigte Bundesrepublik da. Diese Hoffnung erfüllt Tellkamp 2008 mit dem Roman Der Turm, eine wahrheitsgetreue Innensicht der „DDR“, zugleich ein Verkaufserfolg für den Suhrkamp-Verlag, bei dem auch das jetzige Werk erschienen ist.
Wie wird Tellkamps Werk aufgenommen?
Für Marie Schmidt, Rezensentin der SZ (Süddeutsche Zeitung) stellt sich das Werk als satirische Fortschreibung von “Der Turm” dar. Von der Anlage her erscheint ihr der Text mit seinen vielen Zeitebenen, abrupten Episodenenden, schemenhaften Figuren und dem ständigen Changieren zwischen Fantastischem und Realem eher unzugänglich und konfus. Das Werk biete dem Leser keinerlei Anreiz, es zu Ende zu lesen.
In der Hamburger Zeit hält der Besprecher Adam Soboczynski den Autor für einen “Meister der Vergangenheit”. Wann immer Tellkamp in seinem neuen Buch in Diskussionen von Oppositionellen und Intellektuellen zur Wendezeit 19898/90 einsteigt, zeigt sich der Rezensent fasziniert und wittert stilistisches Talent. Leider ist das laut Soboczynski die Ausnahme. Sobald Tellkamp aber Gegenwart behandelt, wird es für den Rezensenten zäh: wegen der Zeitsprünge und einer gewissen Zusammenhangslosigkeit.
In der Tageszeitung Die Welt sieht Rezensent Richard Kämmerlings über das Wettern des Autors über die illegale Masseneinwanderung in das deutsche Sozialsystem hinweg und würdigt Uwe Tellkamps neuen Roman als fantastische, hoch poetische Geschichte über ein fiktives Staatswesen als Nachfolgeorganisation der Stasi. Freilich kippe der Text laut Rezensenten immer wieder ins offen Fremden- und Islamfeindliche.
Hingegen bekommt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel sichtlich Schaum vor den Mund. Hier wird getitelt: Uwe Tellkamp kapituliert vor sich selbst. So viel Hass, Ekel, Abrechnung, Moral. Dann formuliert das selbsternannte Hamburger Sturmgeschütz der Demokratie gnadenlos: „Leser und Kritik lagen Uwe Tellkamp zu Füßen, dann driftete er nach rechts ab. Jetzt erscheint nach 14 Jahren die Fortsetzung von »Der Turm« – und man fragt sich: Was hat ihn nur so ruiniert?“ Na ja.
Sine ira et studio ist zu sagen: Eine schwere Kost, die einerseits eine genaue Kenntnis der Geschehnisse in der Endzeit der Honecker-Zeit voraussetzt. Und andererseits ein Durchackern von Tellkamps Turm, denn das neue Werk ist gleichsam dessen Fortsetzung. Dann aber erweist sich die Lektüre als intellektueller Hochgenuss!
Uwe Tellkamp: Der Schlaf in den Uhren, Suhrkamp, Berlin 2022, 904 S., gebunden, € 32.-