“Im Gegenteil, Putin ist sogar stärker geworden”

by admin2

Bilder: svklimkin auf Pixabay Lizenz: –


Der Politikwissenschafter Alexander Kamkin über den Prigoschin-Aufstand und seine Folgen, den weiteren Verlauf des Ukrainekrieges sowie über die Pläne der USA, Russland zu zerstören.

Herr Dr. Kamkin, in westlichen Medien wird viel über die Hintergründe des sogenannten „Prigoschin-Aufstands“ spekuliert. Manche meinen, es sei ein Putschversuch gegen Präsident Putin gewesen, manche meinen, Prigoschin sei in Wirklichkeit ein Agent der CIA. Welche Informationen haben Sie?
Alexander Kamkin: Ich teile die beiden Auffassungen nicht. Prigoschin ist ein Patriot Russlands, der zugleich sehr hohe Ambitionen hat. In den ersten Stunden des Marsches nach Moskau begriff keiner im Westen, was da passiert. Natürlich spekulierte die ukrainische Propaganda über den baldigen Untergand Russlands und seine kommende Teilung durch die Revolte. Aber es war nicht der Fall. Prigoschin rebellierte nicht gegen Putin, nicht gegen die zentrale Macht in Moskau. Aus seinen Aussagen ergab sich, der Präsident sei schlecht informiert, sehe die Situation falsch, wobei die hochrangigen Beamten im Verteidigungsministerium korrupt und inkompetent ­seien. Prigoschin erklärte seine Tat dadurch, dass er das Land vor den Verrätern retten und dem Präsidenten helfen wollte.
Alles begann damit, dass ein Feldlager von Wagner-Truppen angeblich von der russischen Armee beschossen wurde. Es ist zwar nicht nachgewiesen, aber früher äußerte sich der Wagner-Chef sehr kritisch über den Granatenmangel, über den mangelnden Informationsaustausch mit dem Verteidigungsministerium. Kann sein, dass er so tatsächlich den Rücktritt vom Verteidigungsminister Schojgu erzielen wollte. Bemerkenswert ist es in diesem Zusammenhang, dass die Wagner-Soldaten nur den Stab der Militärkreises Süden besetzt haben, die Objekte der Polizei oder des Sicherheitsdienstes FSB blieben nur beobachtet.
Es gibt auch eine komplett andere Version von der ganzen Geschichte. Es ist möglich, dass diese ganze Geschichte ein Informationskrieg war, damit Kiew seine letzten kampffähigen Truppen in die Gegenoffensive schickt. Der Gegner sollte einsehen, dass in Russland alles kaputt ist. Teilweise war diese Desinformation gelungen. Die Angriffe der ukrainischen Armee wurden während des „Aufstandes“ viel intensiver. Und in der Nacht vor der Revolte hat Russland so viele Raketen abgefeuert, wie man gewöhnlich in einem Monat verwendet. Die Wagner-Truppen an der Frontlinie blieben an ihren Stellen, in Rostow meistens die Soldaten aus den benachbarten Feldlagern. Natürlich musste der Feind glauben, dass es um einen richtigen Putsch ging, so musste Prigoschin einen Marsch nach Moskau befehlen. Aber es ist nur eine der Versionen. Die Tatsache, dass alles am gleichen Tage endete, kann man damit begründen, dass das ursprüngliche Szenario schief ging, und man wollte die gesamte Operation glaubwürdig stoppen. Auf jeden Fall ist er kein CIA-Agent. Er ist natürlich ein Militärgeschäftsmann, der in seinen Geschäften Konflikte mit dem Verteidigungsministerium hatte. Dies war ein Grund für seine Antikorruptionsrhetorik. Aber er ist definitiv kein Staatsfeind. Das weiß Putin, und deshalb gibt es keine Strafe für die Teilnehmer dieser Aktion.

Dr. Alexander ­Kamkin, ­Jahrgang 1978, ist Historiker und Politik­wissenschafter und seit 2009 an der Akademie der Wissenschaften der Russischen Föderation tätig. Seine wissenschaftliche Forschungsbereiche sind Deutschlandkunde, Geschichte der russisch-europäischen Beziehungen, aktuelle politische Lage in Europa und Russland. Darüber ­hinaus ist Kamkin oft als politischer Experte im russischen Fernsehen zu sehen (Bild: Privat)

Westliche Politiker und Kommentatoren behaupten nun, Putin sei geschwächt. Ist das so?
Kamkin: Auf keinen Fall. Die letzten Ereignisse haben im Gegenteil gezeigt, dass Putin noch stärker geworden ist. Die Militärs und andere Sicherheitsdienste haben ihn bedingungslos unterstützt, die soziale Netzwerke explodierten vor Wut gegen die „Verräter“. Die meisten Russen verstanden, dass in so einer Situation nur nationale Einigung den Bürgerkrieg vermeiden kann. Die russischen Streitkräfte haben ihre Loyalität demonstriert. Die Einigung des Volkes mit der Armee und dem Präsidenten ist jetzt so stark wie nie zuvor.

Es ist möglich, dass der Prigoschin-Aufstand ein Informationskrieg gegen die Ukraine war.

Sehen Sie Folgen des Prigoschin-Aufstands für den weiteren Verlauf von Russlands militärischer Spezialoperation in der Ukraine?
Kamkin: Am nächsten Tag hat Kiew mehrere Angriffe begonnen, die aber keinen Erfolg hatten. Die russischen Kampfeinheiten blieben in der Region, es gab keinen Rückzug für die Blockade der Wagner-Truppen. Die Privatsoldaten an der Frontlinie haben ihre Positionen auch nicht verlassen. Insgesamt hatte Prigoschin in Rostow nicht über 4.000 bis 5.000 Kämpfer. Also kann man über eine Schwächung der russischen Armee nicht reden. Im Gegenteil, die totale Mobilisierung in manchen ukrainischen Regionen zeugt davon, dass Kiew eine massive russische Offensive erwartet. Die massiven Lieferungen westlicher Waffen und Militärspezialisten haben nicht geholfen. In diesem Zusammenhang sehe ich keine negativen Folgen für die Spezialoperation Russlands.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, damit der Ukrainekrieg, der im Grunde genommen ein in der Ukraine ausgetragener Stellvertreterkrieg der USA bzw. der NATO gegen Russland ist, beendet werden kann?
Kamkin: Die Drahtzieher dieses Konfliktes, England und die USA, werden gegen Russland bis zum letzten Ukrainer kämpfen. Wenn sie behaupten, dass der Konflikt wegen der Unfähigkeit der ukrainischen Armee lieber auf Eis gelegt werden soll, werden sie Selenski trotz seiner Rhetorik dazu zwingen. Im Notfall wird er einfach plötzlich eventuell in einem Unfall ums Leben kommen. Aber die Strategie der Einkesselung Russlands wird bleiben.

Während des Prigoschin-Aufstands haben einige westliche Medien gehofft, dass es in Russland zum Bürgerkrieg kommt, ja sogar, dass Russland zerfallen könnte. Im Juni 2022 hat die US-Behörde Helsinki Commission ein Seminar mit dem Titel „Russland entkolonialisieren“ veranstaltet (siehe: Ich nehme an, in Russland werden solche unfreundlichen Aktivitäten der USA genau verfolgt, oder?
Kamkin: Natürlich. Sie haben Recht, die Amerikaner und ukrainische Aktivisten arbeiten sehr intensiv mit politischen Emigranten aus Russland genau in diese Richtung. Es existierend Dutzende Gruppen, die an der Zersplitterung Russlands arbeiten. Man reden über die Befreiung der Kleinvölker, Moskauer Hegemonismus usw. Im Endeffekt ist es eine Fortsetzung des strategischen Plans der USA aus 1950er Jahren – PL-8690 – der einen Zerfall der UdSSR in 40 oder 50 vom Westen kontrollierte Staaten beinhaltete. Wir sehen da ja nichts Neues.

Leider beteiligt sich Österreich am Sanktionskrieg gegen Russland, was wirklich sehr schade ist.

Sehen Sie Möglichkeiten, dass es in den kommenden Jahren zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland kommen kann?
Kamkin: Nur unter der Voraussetzung, dass in Europa national denkende Politiker an die Macht kommen. Wir erleben zur Zeit die Erosion liberaler Parteien und den Aufschwung souveräner politischer Kräfte, wenn Europa doch zum Europa der Vaterländer wird, dann gibt es eine Hoffnung solcher Art. Also raus aus dem amerikanischen Sektor!

Österreich als neutraler Staat hatte in Russ­land lange Zeit großes Ansehen. Doch das dürfte wegen der Unterstützung der Sanktionen gegen Russland vorbei sein, oder?
Kamkin: Leider beteiligt sich Österreich am Sanktionskrieg gegen Russland, was wirklich sehr schade ist. Eure Politiker, welche für Kontakte mit Russ­land plädieren – Karin Kneissl zum Beispiel – werden durch die Medienterroristen verfolgt. Aber es bleiben Kontakte im Geschäftsbereich, auf dem Gebiet der Volksdiplomatie. Die Hoffnung ist nicht verloren.
Die Sanktionen gegen Russland und die Waffenliegerungen an die Ukraine haben gezeigt, dass der von den USA angeführte kollektive Westen ziemlich alleine dasteht, während gleichzeitig reges Interesse an einer BRICS-Mitgliedschaft besteht.

Erleben wir den Übergang zu einer multipolaren Weltordnung?
Kamkin: Definitiv. Der globale Schurkenstaat – so Noam Chomsky über die USA – verliert an Ansehen und Vertrauen, es entstehen neue Machtzentren, die sich auf Souveränität, Ansehen und Vertrauen stützen.

Welche Rolle bei der Schaffung einer multipolaren Weltordnung spielen Projekte zur (wirtschaftlichen) Integration Eurasiens? Ich denke da nicht nur an die Neue Seidenstraße Chinas, sondern vor allem auch die von ­Moskau initiierte „Greater Eurasian Partnership“.
Kamkin: Moskau hat eine globale Wende nach Osten begonnen. Wir sehen den Ausbau eines Bündnisses mit China, Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem Iran, mit vielen anderen Nahost-Staaten. In Eurasien passieren große Änderungen, in zehn Jahren wird die gesamte Architektur des Kontinents anders aussehen.

Kann man es so formulieren, dass die feindselige Haltung der USA gegenüber Russland darin begründet ist, dass Washington aus geopolitischen und geoökonomischen Gründen eine eurasische Integration verhindern will?
Kamkin: Das war und bleibt das Hauptziel der Amerikaner. Ihre Machtelite, der sogenannte deep state, will „hardland“, d.h. Eurasien, unter Kontrolle halten. Dazu braucht man Farbenrevolutionen, Konflikte. Nur so können die USA die Integrationsprozesse in Richtung einer gerechten Welt verhindern. Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

Das könnte Sie auch interessieren

1 comment

Putin: Das Ende des Zaren? – ZZ Nr. 27-28 - ZurZeit 11. Juli 2023 - 20:55

[…] Kamkin im ZZ-Gespräch […]

Comments are closed.