Blackout-Vorsorgeexperte Herbert Saurugg über das Risiko eines Blackouts, die Folgen für die Menschen und was jeder Einzelne tun kann, um die Auswirkungen auf die Gesellschaft gering halten.
In den Medien ist öfters zu hören und zu lesen, dass die Gefahr eines Blackouts besteht. Wie groß schätzen Sie diese Gefahr ein?
Herbert Saurugg: Ich beschäftige mich schon seit zehn Jahren mit den Entwicklungen im europäischen Verbundsystem, und angesichts dessen, was in den nächsten Wochen und Monaten in Deutschland geplant ist, war das Risiko noch sie so hoch wie in nächster Zeit. Aber auch die weiteren Entwicklungen – speziell in Deutschland aber auch in anderen Ländern – erhöhen das Risiko für einen europaweiten Strom-, Infrastruktur- sowie Versorgungsausfall („Blackout“) erheblich. Es werden absehbar technische und physikalische Grenzen erreicht. Und die Physik lässt nicht mit sich verhandeln.
Sie haben in Ihrer Antwort zweimal Deutschland erwähnt: Spielen Sie da auf die neue deutsche Bundesregierung an, die die Energiewende stärker als bisher vorantreiben möchte?
Saurugg: Das kommt zusätzlich, aber auch schon die bisherigen Fahrpläne mit der Abschaltung großer Mengen von konventionellen Kraftwerken reicht für das steigende Risiko. Es gibt heuer drei Atomkraftwerke und eine größere Menge Kohlenkraftwerke mit einer Leistung von elf Gigawatt, die wegfallen, und nächstes Jahr kommt nochmals die gleiche Menge hinzu. Da geht es nicht nur um die Energiemenge, da es noch ausreichend Gaskraftwerke gibt, die das abfangen können.
Aber für den nun in Aussicht gestellten Kohleausstieg bis 2030 müssten noch jede Menge neuer Gaskraftwerke dazugebaut werden. Aber Kraftwerke kann man nicht von heute auf morgen bauen, weil es Vorlaufzeiten braucht. Und das andere große Problem besteht darin, dass mit diesen Abschaltungen große und wichtige Systempuffer, eine Art Stoßdämpfer, verloren gehen, nämlich die Momentanreserve, die permanent dafür sorgt, dass Laststöße ausgeglichen werden.
Aber diese Systempuffer werden noch kaum ersetzt und das ist die größere Gefahr, weil das System als gesamtes anfälliger für Störungen wird.
Spätestens nach einer Woche Blackout haben wir in Österreich sechs Millionen Menschen im Überlebenskampf.
Wie sehen Sie die Entscheidung, die Erdgaspipeline Nord Stream 2 vorläufig nicht in Betrieb zu nehmen?
Saurugg: Die bisherigen Leitungen konnten den Gasbedarf in Europa decken. Aber es gibt ein paar Dinge, die im kommenden Winter eskalieren könnten: Das eine ist, dass die Gasspeicher nicht sehr gut gefüllt sind. Heute sind sie noch zu 67 Prozent gefüllt. Vor einem Jahr waren wir es zu diesem Zeitpunkt noch 87 Prozent. Jetzt hängt es von mehreren Faktoren ab: Wie kalt wird der Winter? Gibt es einen höheren Gasbedarf? Die bestehenden Gaskraftwerke müssen zudem die ausfallende Kraftwerksleistung ersetzen, womit deutlich mehr Gas benötigt wird. Das heißt, es könnte in Laufe des Winters durchaus brenzlig werden.
Und das andere Thema sind die politischen Entwicklungen: Der weißrussische Präsident hat angekündigt, dass er aufgrund der politischen Spannungen möglicherweise die Pipeline nach Europa unterbrechen könnte, und auch in der Ukraine könnte es Eskalationen geben. Es hängt von den Rahmenbedingungen ab. Die Situation ist auf jeden Fall nicht sehr beruhigend.
Ist Österreich ausreichend für einen Blackout gerüstet?
Saurugg: Österreich ist überhaupt nicht für ein Blackout gerüstet, weil wir als Gesellschaft nicht vorbereitet sind. Wir wissen, dass wir spätestens nach einer Woche rund sechs Millionen Menschen haben, die sich dann im Überlebenskampf befinden, weil sie nichts mehr zu essen haben, die Supermärkte leer oder zerstört sind und nichts nachkommt, weil nach einem großflächigen Stromausfall die Produktion zumindest eine Woche brauchen wird, um wieder anlaufen zu können, und erst dann kann man wieder etwas verteilen.
Wo sehen Sie die größten Versäumnisse der Politik, dass wir nicht vorbereitet sind?
Saurugg: Das Thema Krisen ist als politisches Thema wenig attraktiv. Wir haben jetzt das Glück gehabt, abgesehen von der Coronakrise, die doch schon einiges aufgezeigt hat, über mehrere Jahrzehnte eigentlich keine großen Krisen erleben zu müssen. Das und auch die hohe Versorgungssicherheit bei Strom und Gas, Lebensmittel, Wasser und Gesundheitsbereich etc., hat dazu geführt, dass wir glauben, es funktioniert eh immer alles und wir brauchen uns um nichts kümmern. Wir waren da alle sehr naiv. Die Politik hätte das besser adressieren können, aber ich will keinem Einzelakteur die Schuld zuschieben.
Bei einem Blackout geht es nicht nur um den Stromausfall, es geht vor allem um Versorgungsengpässe.
Aus Ihren Antworten entnehme ich, dass die Bevölkerung wahrscheinlich große Schwierigkeiten hätte, mit einem Blackout, je länger er dauert, umzugehen. Vermutlich auch deshalb, weil viele Menschen nach ein dreiviertel Jahren Coronakrise psychisch erschöpft sind.
Saurugg: Es kommt natürlich eine gewisse Krisenmüdigkeit auch dazu, aber ich fürchte, dass die nächsten Krisen, auch wenn sie andere sind, nicht warten werden, bis wir wieder fit genug sind. Das große Problem bleibt die Eigenversorgungsfähigkeit, weil es sich bei diesen sechs Millionen nicht nur um die anderen handelt, sondern auch um jene Menschen, die die Einsatzorganisationen aufrechterhalten oder die die Produktion wieder hochfahren sollten. Und wenn man zuhause selbst oder die eigene Familie in der Überlebenskrise ist, dann kommt man nicht in die Lage, etwas wieder hochzufahren. Damit kommen wir in einen Teufelskreis, den man kaum durchbrechen kann.
Es gibt auch keine Vorkehrungen von staatlicher Seite, die das abfangen können. Das ist auch gar nicht möglich, weil niemand Millionen Menschen helfen und versorgen kann.
Jeder einzelne ist also auch gut beraten, nicht nur für sich selbst, sondern auch im Sinne für das große Ganze, für die Gesellschaft, Vorkehrungen zu treffen?
Saurugg: Wir können es nur gemeinsam schaffen, und die wichtigste Voraussetzung ist, dass sich möglichst viele Menschen über zwei Wochen selbst versorgen können. Bis dahin können wir dann auch wieder eine Notversorgung hochfahren. Aber gerade dieser Aspekt wird völlig unterschätzt. Es geht bei einem Blackout nicht nur um den Stromausfall, sondern es geht vor allem um die folgenden Versorgungsunterbrechungen und -engpässe, die auch länger andauern werden. Wir haben das heuer doch mit den Lieferkettenproblemen sehr deutlich gesehen, und das war meiner Meinung nach nur ein sanfter Vorgeschmack.
Sehen Sie im Hinblick auf ein Blackout Unterschiede zwischen Stadt und Land? Ist es in den Städten bzw. städtischen Ballungsräumen wie Wien generell schwieriger, einen längeren Blackout durchzustehen?
Saurugg: Definitiv! Am Land ist es auf jeden Fall wesentlich leichter, so etwas zu bewältigen, weil man gewohnt ist, dass man nicht täglich einkaufen geht und man hat gewisse Vorräte einfach zuhause. Hinzu kommt der soziale Zusammenhalt, der besser ausgeprägt ist, und dass in einer Krisensituation nicht so viele Menschen auf engstem Raum zusammen sind. Und was die Stadt betrifft, so ist es sicher in jeder Wohnung, egal wie groß sie ist, möglich, einen gewissen Vorrat sicherzustellen. Denn es gibt keine Alternative und man kann sich nicht drauf ausreden und erwarten, dass die Versorgung von woanders herkommen wird.
Besteht nicht in der Stadt, wo die Menschen dicht gedrängt leben, die Gefahr, dass es, je länger ein Blackout dauert, zu Unruhen oder zu Plünderungen kommt?
Saurugg: Es ist immer nur eine Frage der Zeit, bis die Stimmung kippt. Das Ziel meiner Aufklärungsarbeit ist, diesen Zeitpunkt hinauszuschieben, damit es nicht zeitnah passiert, weil es damit immer schwieriger wird, zurück zu einer Normalität zu kommen.
Und wie könnte man diesen Zeitpunkt hinausschieben?
Saurugg: Durch die Eigenvorsorge, wenn ich mich zwei Wochen oder zumindest länger als heute selbst versorgen kann, dann bin ich nicht so abhängig und auch nicht getrieben, irgendetwas organisieren zu müssen, um über die Runden kommen zu können. Damit halte ich auch die Gewaltbereitschaft hintan.
Und was sollte oder darf in keinem Haushalt zur Selbstvorsorge fehlen?
Saurugg: Ganz wichtig ist etwas Wasser, sollte es anfangs ein Problem mit der Wasserversorgung geben. Also zwei Liter pro Person und Tag für drei bis fünf Tage. Dann geht es um länger haltbare Lebensmittel, wie Nudeln, Reis, Konserven und um wichtige Medikamente, die man benötigt, um sich 14 Tage selbst versorgen zu können. Zusätzlich eine Erste-Hilfe-Ausrüstung, Taschenlampen oder sonstige Hilfsmittel, und wenn man Kleinkinder oder Haustiere hat, dann muss man auch deren Bedürfnisse abdecken können.
Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.
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