Autor: U.K. Bild: Wikipedia/Bwag
Das Doppelte des Jahresumsatzes verzockt?
Das Dasein als Wirtschaftsjournalist ist allgemein ein eher unaufregendes – spröde Bilanzanalysen, nüchterne Prognosen, die Aufgabe, komplexe Sachverhalte so dazustellen, dass die Leser es erstens verstehen und zweitens nicht nach drei Sätzen vor Langeweile einschlafen. Doch Griechenlands Zeus und Germaniens Thor, die Götter des Biltzes und der Energie, haben derzeit ein Einsehen und schenken dem Autor ein wahres Abenteuerleben.
Denn Sonntag abend wurde offenbar, dass die Wien Energie GmbH, der hauptstadteigene Energieversorger, der zwei Millionen Kunden im Großraum Wien mit Strom, Erdgas und Fernwärme versorgt, seine Zahlungsverpflichtungen bei den Rohstoffbörsen nicht mehr erfüllen kann. 1,7 Milliarden Euro Cash bräuchte man, und zwar bitte binnen weniger Tage. Und das Geld soll bitte von der Republik Österreich, also vom Steuerzahler, kommen, wie selbst ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner im ORF-Fernsehen zugestehen musste.
Mittlerweile überschlagen sich die Ereignisse …
Bei Redaktionsschluss (Montag 29., 17:00 Uhr) war der Fehlbetrag bereits auf kolportierte 6 Milliarden angewachsen. Zudem hat wohl die Stadt Wien schon Wochen zuvor still und leise Milliardenbeträge in den hauseigenen Energieriesen gepumpt, um die Wien Energie vor der Pleite zu bewahren.
Nun fragt sich der Fachmann natürlich, wie kann das sein? Zwar verfügt die Wien Energie, anders als z.B. Verbund AG oder OMV, nur sehr begrenzt über eigene Primärenergiequellen und kauft Strom und Gas am Markt ein. Aber trotzdem hätte den beiden Geschäftsführern, DI Mag. Michael Strebl und DI Karl Gruber, auffallen müssen, was sich da seit letztem Sommer am europäischen Energiemarkt zusammenbraut. Im Zweifel hätte ein Lesen der Artikel des Autors auf ZurZeit geholfen. Und ausserdem hat man mit den vier Kraftwerken in Simmering und Donaustadt immerhin rund 1,5 Gigawatt eigene Stromerzeugungsleistung, die pro Jahr gut 13 Terawattstunden (TWh) in Volllast erzeugen könnte.
Fehlen 6 Milliarden?
Denn 6 Milliarden Euro akuter Fehlbedarf, das ist das rund das Doppelte des offiziellen Vorjahresumsatzes von 3,042 Mrd. Euro. Und Wien Energie bekommt ja auch laufend Geld von seinen Kunden, und hat erst vor Kurzem die Fernwärmepreise für Privathaushalte um 94% erhöht. Hinzu kommen noch die bisher geflossen Hilfsgelder seitens der Stadt Wien, über deren genauer Summe und gesetzlicher Grundlage bis dato eine zähe rot-pinke Nebeldecke liegt.
Ist man also ein Opfer der steigenden Energiepreise geworden, wie offiziell behauptet? Oder hat man sich milliardenschwer verspekuliert, weil man im letzten Winter dem EZB- und Mainstream-Sprech von den bald wieder fallenden Preisen vertraut hat? Angeblich braucht man das Geld für Sicherheiten an den Energiebörsen. Zur Info: Energie wird, wie andere Rohstoffe auch, per Terminkontrakt (engl.: Future) gehandelt. Man kauft also heute z.B. Strom zum Fixpreis, der aber erst bei Lieferung, z.B. im Februar, bezahlt werden muss. Als Sicherheit muss der Käufer einen bestimmten Prozentsatz in Form von Bankgarantien oder Cash hinterlegen, die sog. „Margin“.
Am letzten Freitag, wo ja das Problem angeblich begann, betrug die Margin an der EEX, der European Energy Exchange, wo die Wien Energie GmbH als Börsenhändler tätig ist, rund 10% für Stomlieferungen in Österreich im Januar und Februar kommenden Jahres. Allerdings kostet die Megawattstunde (MWh) für diesen Zeitraum aktuell rund 1.500 Euro. Trotzdem, für 6 Mrd. Euro könnte ich einen Futures-Kontrakt über 40.000.000 MWh absichern, das sind 40 TWh! Nach eigenen Angaben verkauft Wien Energie im Jahr rund 23 TWh (da ist die Fernwärme bereits inkludiert). Bitte, 13 TWh Eigenkapazität, für den Winter müsste ich maximal noch 8 TWh zukaufen (das sollte ein guter Stromprofi aber längst erledigt haben), und jetzt brauche ich plötzlich 6 Milliarden frisches Geld?!
Wurde sich einfach verzockt?
Das klingt für den Autor, der selbst im Rohstoffhandel aktiv ist, wenig überzeugend. Zwar nur eine Vermutung, aber sehr wohl denkbar wäre, dass die Wien Energie sich effektiv an der Strombörse verzockt hat. Das geht nämlich sehr einfach, und leider auch sehr, sehr schnell, wenn man bei Futures auf der falschen Seite des Marktes steht. Hätte die Wien Energie nämlich auf fallende Strompreise spekuliert, kommt es zu sogenannten Margin Calls, Nachschussforderungen auf die Sicherheitsleistungen, die urplötzlich ein Vielfaches der ursprünglich hinterlegten Margin betragen können. Das kann dann wirklich quasi übernacht kommen, und das Margin Call Risiko hat schon etlichen Rohstoffspekulanten das Genick gebrochen.
Es bleibt also hochspannend!