Wien Energie-Skandal

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Autor: U.K. Bild: Wikipedia/Viennaphotographer Lizenz: CC BY-SA 4.0


Nebelkerzen ohne Ende

Hat die Wien Energie einfach nicht verstanden, was sie da an der Strombörse treibt? Oder werden Bürger und Bundespolitik gar schlichtweg belogen? Denn die Zahlen, welche im Stundentakt ans Licht kommen, passen in keinster Weise zu den Erklärungen, mit denen Firmensprecher Peter Weinelt, aber auch Wiens Bürgermeister Michael Ludwig und Finanzstadtrat Peter Hanke (beide SPÖ) uns weismachen wollen, dass die finanzielle Schieflage bei der Wien Energie GmbH allein den aktuellen Marktturbulenzen geschuldet sei.

So erklärte Herr Kommerzialrat Hanke, dessen bedeutungsschwere Amtsbezeichung „Amtsführender Stadtrat für Finanzen, Wirtschaft, Arbeit, Internationales und Wiener Stadtwerke“ lautet, gegenüber APA allen Ernstes, der am Montag angeforderte Betrag von über 1,7 Mrd. Euro sei eine Kaution, „die nicht verloren ist, die kein Aufwand ist“. Bitte, Herr Kommerzialrat, haben Sie Ihr Ökonomiestudium vergessen, oder wollen Sie uns absichtlich belügen?! Ein Margin Call, und darum handelt es sich hier, ist mitnichten eine Kaution. Es ist ein Verlustdeckungsbeitrag, der von der Rohstoffbörse eingefordert wird, sobald ein Futures-Kontrakt weiter in die Verlustzone rutscht und die ursprüngliche Sicherheitsleistung („Margin“) nicht mehr ausreicht, um die zu erwartenden Verluste auszugleichen. Nur wenn sich der Wind wieder dreht, erhält man tatsächlich das Geld zurück. Steht man aber auf der falschen Seite des Marktes, ist das Geld am Ende der Kontraktlaufzeit weg, zu 100% plus ggf. noch einem zusätzlichen Clearing-Verlust.

Naja, weg ist das Geld nicht. Es gehört nur jetzt der Gegenpartei („Counterparty“), die halt cleverer war als die Wien Energie.

Genauso unglaubwürdig sind die Worte von Stadtwerke-Vizechef Peter Weinelt „Es gibt keinen Leerverkauf.“ Denn bei steigenden Strompreisen kann es nur bei sogenannten Short-Positionen, also bei Terminverkäufen in der Spekulation auf fallende Preise, zu einem Margin Call kommen. Wäre man „Long“, d.h. Wien Energie hätte bezeiten Strom-Futures gekauft, als die Preise noch niedriger waren, wäre der Futures-Deal jetzt dick „im Geld“ und man könnte sich über schöne Extragewinne freuen.

Details zu den Problemen lassen sich derzeit nur erahnen oder durch kriminalistische Analyse der wenigen Fakten ableiten. Denn die Kontrakte an der EEX sind anonym; auch ein anderer Rohstoffhändler sieht nicht, wer auf der Gegenseite des Geschäfts steht. Natürlich könnte Wien und ihr Energiekonzern problemlos Licht ins Dunkel bringen, indem es seine Stromfuture-Positionen offenlegt. Das dürfte ausgedruckt auf zwei DIN-A4-Seiten passen. Dass man das nicht tut, wird schon seine Gründe haben…

Allerdings hat sich Peter Hanke heute selbst verraten. 798 Millionen Euro Margin seien am gestrigen Montag wieder von der Börse freigegeben worden. Und gestern ist in der Tat der Strompreis für Februar 23 um 24%, oder 333,- Euro pro Megawattstunde, gefallen. Marktvolatilität nennt man sowas, das kann aktuell übermorgen auch wieder raufgehen. Hankes Sager erlaubt nun dem Börsenprofi auszurechnen, wie groß die Short-Position der Wien Energie ist: Es sind etwa 2,4 Millionen Megawattstunden, oder anders gesagt 2,4 Terawattstunden (TWh) Strom. Laut Geschäftsbericht 2021 hatte die Wien Energie in 2021 einen Stromumsatz von 6,8 TWh. Und jetzt ist man mit einem reichlichen Drittel der Jahresmenge short, und das auch noch fett in der Verlustzone!

Übrigens: Sollte der Strompreis weiter steigen, bedeuten jede 100 Euro Preissteigerung an der Börse einen neuen Finanzbedarf von 240 Millionen Euro, leistbar binnen 48 Stunden. Viel Spaß also beim Rettungsschirm spannen…

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