Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/MÁV Zrt. Lizenz: CC BY-SA 3.0
Kundenanrufe sind für viele Firmen unangenehm
Es gibt Unternehmen, die täglich in der besten TV-Werbezeit ihre Produkte anbieten. Oft in einer Weise, die vermuten lässt, die Reklame richte sich in erster Linie an Menschen, die kognitiv leicht behindert sind. Ein Schelm, der da an die Möbelbranche denkt. Derjenige, der den Werbefritzen auf den Leim geht und kauft, der hofft, sich bei Problemen an den Verkäufer wenden zu können. Denn eines der Atouts, mit dem jede Firma prahlt, ist ein ausgezeichnetes Kundenservice.
In der Theorie versteht man unter Kundenservice die Unterstützung und Beratung, die ein Unternehmen denjenigen Personen bietet, die seine Produkte oder Dienstleistungen kaufen oder nutzen. Wir tun alles für Sie, stehen rund um die Uhr zu Ihrer Verfügung.
Rückblende: In der guten alten Zeit riefen jeden Tag Hunderte von Kunden an, die alle die gleichen Fragen hatten. Schlecht bezahlte und deshalb oft übelgelaunte Mitarbeiter mussten die immer gleichen Antworten geben. Es handelte sich, wie man heute sagt, um Bullshit-Jobs.
Angesichts der lästigen Kundschaft fiel irgendwann einem vifen Kopf der Spruch des letzten Sachsenkönigs Friedrich August III. ein. Der Monarch beschied anno 1918 seinen republikanischen Widersachern: Nu da machd doch eiern Drägg alleene! (sächsisch für: „Macht doch euren Dreck allein!“).
Daher schaut die Praxis jetzt so aus: Man offeriert dem hilfesuchenden Kunden auf der Internetseite zuerst einmal eine lange Liste. Die enthält häufige Fragen und deren Antworten, es handelt sind um die Frequently-Asked-Questions-Listen (FAQ). Dadurch soll die Firma von 08/15-Fragen entlastet werden. Doch als Kunde gehört man dummerweise fast immer zu denjenigen, die RAQ haben: Rarely Asked Questions, also mit irgendeiner ausgerissenen Frage daherkommen.
Dafür wird dem schon als leicht lästig eingestuften Käufer ein Kontaktformular angeboten, wo Daten – sie sind schließlich das Gold des 21. Jahrhunderts – abgefragt werden, wie Geburtsdatum, Geschlecht (mit bis zu 97 Wahlmöglichkeiten), Familienstand, Zahl der Kinder, Postanschrift und ähnliches. Dann darf man sein Anliegen vorbringen, freilich beschränkt auf 85 Zeichen, inklusive Leerzeichen.
Besonders Hartnäckige versuchen allerdings, mit dem Unternehmen fernmündlich in Kontakt zu treten. Was beileibe nicht einfach ist. Denn auf der Internetseite findet man – versteckt in einem Dschungel von Social Media-Adressen, Reklamesprüchen, Frequently-Asked-Questions-Listen und Kontaktformularen – vielleicht irgendwo, jedenfalls ganz weit unten versteckt, mit einem Wort: sorgfältig verräumt, die gute alte Telefonnummer.
Wobei man hier nochmals eine Art Hindernis einbaut, indem die Nummer unnötig verkompliziert wird. Weil es angeblich die EU so will. Also ungefähr so: +43(0)50707. Ältere Menschen fragen sich: Was soll ich mit dem Pluszeichen anfangen? Dafür gibt es ja gar keine Taste auf meinem Apparat! Und: Wie verhält es sich mit der Null in der Klammer?
Falls – und das betrachtet ein Unternehmen bereits als außergewöhnlich große querulatorische Energie – ein Mensch tatsächlich die richtige Fernsprechnummer herausfindet und anruft, dann meldet sich am anderen Ende kein Telefonfräulein. Das wär‘ ja noch schöner. Wo kämen wir denn da hin …
Nein, es schaltet sich ein Tonband ein. Derzeit sind alle Leitungen besetzt, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bemühen sich, jede Anfrage sorgfältig zu bearbeiten. Wir bitten Sie um ein wenig Geduld, da es noch etwas dauern wird, bis Sie drankommen. Dann erfolgt ein Hinweis auf die Internetseite, wo eh alles steht, was einer wissen will. Die Hoffnung des Unternehmens: Vielleicht legt der Ruhestörer auf und begibt sich zum Computer, um das Gewünschte zu suchen.
Wer allerdings störrisch ist und weiter am Apparat bleibt, dem wird locker beschieden: Sie sind der achte in der Warteschleife. Welch‘ ein Glück! Endlich ist der Kunde an der Reihe. Nächster Schritt, ein Tonband, das zur Wahl auffordert. Wenn Sie eine technische Frage haben, drücken Sie die Eins. – Wenn Sie eine Frage zu Ihrer Rechnung haben, dann drücken Sie die Zwei … die Drei … die Vier … Bitte bleiben Sie am Apparat … Please hold the line … Wir freuen uns auf das Gespräch mit Ihnen …
Bis man irgendwann eine echte, menschliche Stimme an die Strippe kriegt, können locker dreißig Minuten vergehen. Doch wer so lange durchgehalten hat, erlebt mitunter Phantastisches: Mitarbeiter, die geduldig zuhören, dann einfühlsam antworten, man werde das Anliegen weiterleiten, schließlich sei man ein Callcenter in Mecklenburg-Vorpommern und deswegen weit weg vom Unternehmen in Graz. Und, da keimt Hoffnung auf, es wird ein Rückruf zugesagt. Nicht gleich, aber zeitnah. Gemeint ist ad calendas graecas. Auf gut Deutsch: am Sankt-Nimmerleins-Tag.