„Mit Biden-Regierung wurde der Konflikt unausweichlich“

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Der russische Politologe Alexander Dugin über Ursachen und Hintergründe des Ukraine-Konflikts, dem Kampf globalistischer Eliten gegen Putins R­ussland und die Rolle der Europäer

Herr Professor Dugin, der Konflikt wegen der Ukraine zwischen den USA und der NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite verschärft sich laufend. Was sind die Ursachen für diesen Konflikt?
Alexander Geljewitsch Dugin: Das hängt vor allem mit der US-Regierung von Präsident Biden zusammen. Führende Figuren wie Außenminister Biden oder Staatssekretärin Nuland waren in postsowjetische Probleme involviert, sie versuchten, Russland einzukreisen und sie folgten einer neokonservativen Strategie, die von Zbigniew Brzezinski und den sogenannten liberalen Falken vorgegeben wurde. Was wir heute in der Biden-Regierung sehen, ist ein Bündnis zwischen Neokonservativen und liberalen Falken. Und dieses Bündnis wird geeint durch ihren Hass auf Donald Trump, gegen das „Make America great again“-Konzept, und hinzu kommt der klassische Gegensatz zwischen Seemacht und Landmacht und die Idee, Gebiete im postsowjetischen Raum der eigenen Einflusssphäre einzuverleiben, um die Position Russlands zu schwächen und ein künftiges Wachstum der Stellung Russlands als souveränem Pol einer multipolaren Welt zu verhindern. Das geht auf die Große-Schachbrett-Strategie Brzezinskis zurück, in der als das Hauptziel von NATO und Atlantizismus der Kampf gegen Russland und die militärische Besetzung der Ukraine klar umrissen wurden. Trump hingegen verfolgte einen anderen Zugang gegenüber Russland: Für ihn waren die islamische Welt, der Iran und China wichtiger, während Biden zur klassischen atlantizistischen Geopolitik von Mackinder und Brzezinski zurückgekehrt ist.

Univ.-Prof. Dr. Alexander Dugin ist ein russischer Politiker, Politologe, politischer Philosoph und Publizist und lehrte an der renommierten Moskauer Lomonossow-Universität Internationale Beziehungen.

Und was bedeutet das genau für die US-Außenpolitik?
Dugin: Das bedeutet, dass sich der Hauptkampf gegen Eurasien, gegen das „Herzland“ richtet. Diese Anakonda-Strategie zur Einkreisung des Feindes wurde das erste Mal während des amerikanischen Bürgerkriegs angewendet, um ihm dem Zugang zu den Meeren, zum Ozean, zu verweigern. Das ist klassische atlantizistische Politik, aber heute befindet sich Russland im Aufstieg. Als diese Politik in den 1990er-Jahren angewandt wurde, war Russland im Niedergang – das war die Niederlage der Sowjetunion, die Zerstörung des imperialen Raums in Eurasien, der traditionell von Russland kontrolliert wird. Und der Westen hat die Gelegenheit am Schopf gepackt, die Widersprüche zwischen der Ukraine und Russland anzuheizen. Russ­land war sehr schwach und hat nicht dagegen protestiert.
Aber heute haben wir eine völlig andere Lage und Putin kann die Fortsetzung dieser Strategie nicht länger tolerieren, und daher denke ich, dass in der derzeitigen Krise Russland versucht, die bestehende atlantizistische Tendenz zu kippen. Mit Trump konnte Russland Gespräche über ein gegenseitiges Einverständnis über regionale Ziele führen, weshalb Putin mit Trump eine direkte Konfrontation vermeiden konnte. Aber mit der Biden-Regierung und ihrer Mischung aus liberalen Falken und Neokonservativen wurde der Konflikt unvermeidlich. Ich denke, Russland spielt hier die aktive Rolle, weil Russland versucht, diesen Konflikt zu stoppen, und das ist nur möglich durch eine Veränderung des politischen Regimes in der Ukraine oder des geopolitischen Gleichgewichts, weil in der gegenwärtigen Lage Russland keine Mittel hat, um den Beitritt der Ukraine zur NATO zu verhindern oder zumindest Militärstützpunkte der NATO oder Vereinigten Staaten auf ukrainischem Territorium zu verhindern. Russland sollte die Möglichkeit haben, diese Bedrohungen zu kontrollieren, was bedeutet, dass dieser Konflikt unausweichlich ist.

Rächt sich nun die Tatsache, dass der letzte sowjetische Präsident Gorbatschow im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung gegenüber den USA zu gutgläubig war? Im Februar 1990 hatte ja US-Außenminister Baker Gorbatschow versichert, dass die NATO „nicht ein Inch“ ostwärts rücken würde.
Dugin: Ich habe 2005 in Washington persönlich Zbigniew Brzezinski getroffen und ihn gefragt, warum der Westen den Übereinkünften mit Gorbatschow, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, nicht gefolgt ist. Brzezinski antwortete mir offen, „wir haben ihn (Gorbatschow, Anm.) hineingelegt“. Das ist der Preis der westlichen Politik, es ist die angelsächsische Strategie zu tricksen, zu lügen und das Gegenüber zu täuschen. Das ist die alltägliche Praxis des angelsächsischen Kolonialismus. Gorbatschow war nicht schwach, aber wird in Russland als Idiot und als Verräter betrachtet, weil der die nationalen Interessen Russlands verraten hat. Er glaubte den Lügen des Westens, der Vereinigten Staaten, und wir haben unsere gesamte Sicherheitszone rund um den russischen Kern verloren.

Und das will nun Putin ändern …
Dugin: … Putin versucht nun, die russische Größe wiederherzustellen, weshalb er gewillt ist, die derzeitige Situation herauszufordern, weil Putins Land ein neues, ein anderes Land ist als das Russland der 1990er-Jahre. Das Land ist souverän, das Land ist unabhängig, das Land ist ein Pol des multipolaren Systems. Ein solches Land kann die Position nicht tolerieren, in die es zur Zeit Gorbatschows und Jelzins gesteckt wurde. Beide sind in der Russischen Föderation wirklich verhasst.
Ich denke, dass Russland heute gezwungen ist, seinen neuen Status unter Beweis zu stellen. Und dieser Status ist der eines unabhängigen Pols in einem multipolaren System, der die völlig gerechtfertigte Forderung erhebt nach Sicherung der nationalen Grenzen und Fernhalten unmittelbarer Bedrohungen von den Grenzen. Ich denke, Russland hat viele symmetrische und asymmetrische Antworten vorbereitet, einschließlich der Ausweitung der militärischen und strategischen Präsenz in Mittel- und Südamerika, einer neuen Strategie in Westeuropa, ein Bündnis mit China und dem Iran und möglicherweise mit Pakistan und der Türkei.

Sie haben vorhin gesagt, dass der Ukraine-Konflikt unausweichlich sei, was sehr pessimistisch klingt. Sehen Sie irgendwelche Möglichkeiten zur Lösung dieses Konflikts?
Dugin: Ich sehe keine vernünftigen sinnvollen Mittel, weil der Westen nicht zulassen kann, dass Russland diese Eskalation in den diplomatischen Beziehungen gewinnt und nicht öffentlich ein Abkommen akzeptieren kann, in welchem steht, dass die Ukraine niemals der NATO beitreten wird.
Das wiederum würde das Ende der NATO bedeuten, weil wenn die NATO ihr militärisches Ziel nicht verfolgen kann, ist der Wert dieses Bündnisses nahe null. Russland hat nun eine Forderung erhoben (kein NATO-Beitritt der Ukraine, Anm.), welche der Westen einfach nicht akzeptieren kann und ich denke, dass diese Forderung beabsichtigt erhoben wurde und es sich dabei nicht um ein Missverständnis westlicher Positionen handelt. Putin hat das Machtgleichgewicht radikal verändert und er möchte die russische Größe als unabhängige eurasische Macht wieder herstellen. Das ist die Ursache der Eskalation, und Biden möchte das genaue Gegenteil.

Brzezinski antwortete mir bei einem Treffen in Washington offen, „wir ­haben Gorbatschow hineingelegt.“

Wie sehen sie eigentlich die Rolle der EU im Ukraine-Konflikt?
Dugin: Sie hat augenscheinlich kein Interesse an einer Eskalation. Die Europäische Union hat nur den Wunsch, abseits zu stehen und dem Konflikt fernzubleiben. Aber die Europäische Union hängt zu sehr von den Vereinigten Staaten ab, die meisten ihrer Mitglieder gehören auch der NATO an. Die Europäische Union ist auch ein Opfer dieses Konflikts, weil sich die radikal-atlantizistische Position der USA nicht nur gegen Russland richtet, sondern auch gegen eine mögliche Umwandlung der Europäischen Union in einen unabhängigen Pol. Daher handelt es sich auch um einen spezifischen Krieg Amerikas gegen Europa. Ich denke, dass Washington – Stichwort Sanktionen – Europa zwingen will, sich in diesem Konflikt in die Reihe der Amerikaner einzureihen. Aber ich denke, dass dies nicht im Interesse der europäischen Völker und Nationalstaaten ist. Eine globalistische Elite will verhindern, dass es zu einem Bündnis zwischen Russland und einem unabhängigen Europa kommt. Ein solches Bündnis ist möglich, aber nur mit einem unabhängigen Europa und nicht mit einem Europa, das völlig unter der Kontrolle einer außereuropäischen Macht steht, wie es bei der NATO oder der transatlantischen Gemeinschaft der Fall ist.
Ich denke, es wird den Konflikt innerhalb der europäischen Länder verschlimmern, weil die liberale, globalistische, atlantizistische Elite, die heute in Europa regiert, nicht mit der Mehrheit der Durchschnittsbürger übereinstimmt, die Russland nicht als Feind sehen, nicht mit dem Schicksal der Ukraine behelligt werden möchten und nicht diese ultraliberale Agenda teilen.
Wenn ein Konflikt beginnen sollte, werden wir in einer völlig neuen Realität sein und viele Dinge werden sich radikal ändern. Ich denke, wir nähern uns einem sehr wichtigen geschichtlichen Punkt, einem unumkehrbaren Punkt der radikalen Veränderung im Machtgleichgewicht. Das kann in einem Krieg münden – nicht nur in einem lokalen Krieg, sondern in einem schrecklicheren.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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