„Das Muskelspiel der USA verbraucht sich langsam“

by John Tuscha

Bild: DBT/Julia Nowak


Der ehemalige Journalist und AfD-Außenpolitiksprecher Paul Hampel über den Konflikt zwischen den USA und China und warum sich Europa ­heraushalten sollte.

Kürzlich hat sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell dafür ausgesprochen, dass die Europäer Kriegsschiffe in die Gewässer vor Taiwan entsenden. Besteht hier die Gefahr, dass die Europäische Union in eine Auseinandersetzung hineingezogen wird, die bisher nur zwischen den USA und China bestanden hat?
Paul Hampel: Was Borrell äußert, ist seine Meinung, aber die europäischen Nationen sind sehr unterschiedlich eingestellt. Das hat man besonders in dem Interview gemerkt, was der französische Staatspräsident Macron auf seinem Rückflug von China der Zeitschrift „Politico“ gegeben hat. Er hat davor gewarnt, dass wir uns in eine Erfüllungsgehilfenposition der Amerikaner begeben, die uns nicht dienlich ist.
Die Deutschen haben bereits ein Marineschiff in die Gewässer vor China entsandt, und da wird man in Peking wahrscheinlich furchtbar gezittert haben – das ist natürlich ironisch gemeint. Ich warne davor, dass wir uns in einen Konflikt hineinziehen lassen, der uns in diesem Falle überhaupt nichts angeht.

Und warum geht uns dieser Konflikt nichts an?
Hampel: Dieser Konflikt hat zwei Aspekte: Einerseits geht er, was die Taiwan-Frage betrifft, auf Mao Zedong und Tschiang Kai-schek zurück, und dass bis jetzt eine ungeklärte politische Situation herrscht. Das zweite ist, dass wir einmal sehr erfolgreich eine Friedens- und Abrüstungspolitik betrieben, nämlich den Helsinki-Prozess, in dem wir einen der Kernsätze formuliert haben, der für den Erfolg dieses Prozesses entscheidend war: man soll sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes einmischen. Deutschland und die europäischen Nachbarn wären gut beraten, das in Hinsicht auf China ebenso zu handhaben.
Und es kommt natürlich hinzu, dass die europäischen Länder, auch Deutschland, mit China bis dato einen sehr erfolgreichen wirtschaftlichen Austausch hatten. Wenngleich es aus deutscher Perspektive sicher einiges zu verbessern gibt, haben beide Länder in den vergangenen Jahrzehnten davon profitiert. Anders verhält es sich mit den Amerikanern: Sie sehen in China eine politische, eine militärische und vor allem eine wirtschaftliche Bedrohung und versuchen die Chinesen auf dem internationalen Parkett, wenn schon nicht auszuschalten, so doch zumindest deren Einfluss zu reduzieren.
Aber das ebenfalls zu machen, liegt nicht in unserem Interesse. In unserem Interesse liegt es, mit den USA wie mit den Chinesen halbwegs gut auszukommen, um auch weiterhin prosperierende Wirtschaftsbeziehungen zu haben, die beiden – in diesem Fall Deutschland und China – dienen und die beiden Positives bringt.

Armin-Paul ­Hampel: war von 2017 bis 2021 außenpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Von 2003 bis 2008 war er als Auslands­korrespondent Leiter des Südasien-Studios der ARD. (Bild: DBT/Julia Nowak)

Wenn Sie davon sprechen, dass die USA China als wirtschaftliche Bedrohung sehen: Ist dann das Gerede, dass Taiwan ein demokratischer Staat ist und dass es um Demokratie gehe, vielleicht nur ein Vorwand?
Hampel: Die USA haben sich viele Jahrzehnte selten gekümmert, ob ein Staat demokratisch regiert wird oder nicht, wenn man an verschiedene lateinamerikanische oder afrikanische Staaten denkt. Natürlich sehe ich das auch als einen Vorwand, wenn jetzt plötzlich nach Jahrzehnten die Taiwan-Karte wieder gespielt wird und amerikanische Politiker nach Taipeh fliegen, um Flagge zu zeigen und die Chinesen zu provozieren.
Die Amerikaner haben im Gegensatz zu Europa andere wirtschaftliche Erfahrungen mit China gemacht. China hat im Grunde genommen die Rolle Japans übernommen und hat den amerikanischen Markt mit einer Masse von Produkten überflutet, mit Produkten, denen die Amerikaner in einigen Bereichen nur wenig oder nur Produkte mit schlechterer Qualität entgegensetzen konnten. Das hat zu Ungleichheiten und zu einem Handelsbilanzdefizit geführt, was schon Trump bedauert und zu korrigieren versucht hat. Wenn man der Meinung ist, dass der Warenaustausch nicht zufriedenstellend funktioniert, dann ist das eine Verhandlungssache und kein Grund, einen militärischen oder politischen Druck aufzubauen.

Haben die USA in der Vergangenheit vielleicht der Entwicklung in China zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?
Hampel: Ich habe den Eindruck, dass die Amerikaner lange Zeit gar nicht oder falsch reagiert haben und jetzt die Chinesen als ihre große Konkurrenz sehen, wobei man zugeben muss, dass die Chinesen von einem Schwellenland mit Mittelmaß-Produkten zu einer Großmacht geworden sind, die auch in den Top-Bereichen mithalten kann. Ob das Kommunikationssysteme und die Weltraumforschung ist, die Chinesen haben gigantisch aufgeholt. Die Frage ist: Peking oder Silicon Valley, und da haben die Amerikaner Angst, dass sie ins Hintertreffen geraten und das ist für mich die Erklärung, warum der Konflikt jetzt besonders heraufbeschworen wird.

Rechnen Sie damit, dass es zu einer noch stärkeren Konfrontation kommen wird, auch deshalb, weil China zunehmend in arabischen Staaten aktiv ist und dazu übergeht, eine Art Petro-Yuan als Konkurrenz zum Petro-Dollar zu schaffen, der ja eine wesentliche Stütze auch der außenpolitischen und militärischen Dominanz der USA ist?
Hampel: Wir haben alle einmal gelernt, dass der US-Dollar nur so lange Weltleitwährung sein kann und wird, wie die Erdölgeschäfte in Dollar abgerechnet werden und wie die Gold-Fixierung in Dollar erfolgt. Aber man darf den Dollar weiterhin nicht unterschätzen: Die amerikanischen Fonds, in die weltweit investiert wird, sind eine gigantische Finanzmacht, der China nur teilweise etwas entgegenzusetzen hat. Genauso sieht es auch im militärischen Vergleich aus: China ist bei allen Bemühungen, militärisch aufzurüsten, nicht einmal ansatzweise in der Lage, das enorme Militärpotenzial der USA auszugleichen.
Die Chinesen sind gut beraten, das weiter zu verfolgen, was sie in den letzten Jahrzehnten gemacht haben: Sie haben bis auf zwei, drei Ausnahmen keine Militärbasen weltweit eingerichtet und sich stattdessen mit viel Geld auf eine wirtschaftliche Einflussnahme, besonders des afrikanischen Kontinents, beschränkt. Im Gegensatz dazu verfügen die Amerikaner über 850 Militärbasen weltweit, deren Errichtung und Erhaltung sehr viel Geld kosten, ohne dass damit wirtschaftlich ein einziger Dollar verdient wird. Während die Amerikaner an jedem Punkt der Erde politischen und militärischen Druck ausüben können, gehen die Chinesen Schritt für Schritt vor. Als erstes haben sie Afrika ins Visier genommen, dann folgte die Entwicklung der neuen Seidenstraße und nun wenden sie sich dem südamerikanischen Kontinent zu.
Und zwar wirtschaftlich mit günstigen Krediten, die politischen Einfluss bringen. Die Chinesen machen es geschickter als die Amerikaner. Das Muskelspiel der USA verbraucht sich langsam.

Um noch kurz bei der neuen Seidenstraße zu bleiben: Wie sehen Sie dieses Projekt?
Hampel: Wenn wir Europäer klüger wären, dann hätten wir uns sehr viel früher darauf eingelassen und wir hätten auch bei der Entwicklung dieser Seidenstraße mitbestimmt. Ich sehe schon eine gewisse Gefahr, dass dieses Projekt von China dominiert wird und Europa in eine Abhängigkeit gerät. Man will ja letztendlich nichts Anderes machen, als zusätzlich zu den großen internationalen Schifffahrtsrouten einen Landweg aufzuzeigen, den wir vor eintausend Jahren schon einmal hatten. Ob das so von Erfolg gekrönt sein wird, möchte ich mit einem gewissen Fragezeichen versehen.

Warum sind Sie skeptisch?
Hampel: Erstens, weil die Meere frei sind. Ein Schiff muss niemanden um Erlaubnis bitten, um von A nach B zu kommen. Zweitens ist das Schiff die kostengünstigste Transportvariante, die es gibt. Ein Schiff ist von seiner Größe wirtschaftlicher als Eisenbahnwaggons, wie es die Seidenstraße vorsieht. Und daher glaube ich, dass die Seidenstraße eine positive Ergänzung der internationalen Handelswege sein wird, aber sie wird die Seeschifffahrt in Konkurrenz nicht ablösen.
Aber langfristig glaube ich, dass die Seidenstraße für Europa wie auch für die Chinesen, ein sinnvolles Projekt sein könnte, wenn wir unsere Hausaufgaben richtig machen.

Nun noch kurz zu einem anderen Thema: Könnte der Ukrainekrieg mittel- oder langfristig zu einem formellen Bündnis zwischen China und Russland führen, zumal beide Mächte einer konfrontativen Außenpolitik der USA ausgesetzt sind?
Hampel: Das hat sich ja schon beim letzten Besuch von Chinas Präsident Xi in Moskau angedeutet. Nun sind hier alle Beteiligten – die Amerikaner wie die Russen und die Chinesen – in einer extrem schwierigen Situation.
Die Amerikaner versuchen, sich gegen die Chinesen zu behaupten und ihren Einfluss auf Europa nicht nur beizubehalten, sondern auch auszudehnen. Die Chinesen sehen außer Russland keinen großen Player, mit dem sie zusammengehen können, und von da her ist für mich eine Allianz zwischen Russland und China gewisser Weise schon existent.
Allerdings glaube ich, dass es viel stärker im Interesse Chinas als im Interesse Moskaus ist. Ich glaube, Wladimir Putin und die gesamte russische Führung lehnen mit einem gewissen Unbehagen den Weg in eine solche völlige Abhängigkeit von einem wirtschaftlich gestärkten China ab, und ich glaube nach wie vor, dass der Wunsch nach einer Verständigung mit Westeuropa im Kreml noch immer vorhanden ist. Wie nehmen nur den Gesprächsfaden bedauerlicherweise nicht auf – im Gegenteil, wir kappen alle möglichen Verbindungen, die vorher eingespielt waren.
Und wir nehmen Schaden daran, vor allem Deutschland, und nicht nur, was die Gaslieferungen anbelangt.
Und die Chinesen ersetzen dann die deutschen Investitionen in Russland. Die Chinesen springen ein, und die Russen können gar nicht anders, als ja zu sagen. Cui bono – wem nützt es: Uns mit Sicherheit nicht.

 

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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