„Femizid“ ist ein politischer Kampfbegriff

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Die Psychoanalytikerin und ­Theologin Rotraud A. Perner plädiert für ein ­breites Bündnis gegen Gewalt als ­Strategie gegen Frauemorde. Den Begriff „Femizid“ lehnt sie ab

Frau Doktor Perner, 2021 gab es in Österreich mutmaßlich 31 Femizide, also von Männern an Frauen verübte Morde. Außerdem hat sich in Österreich die Zahl der Frauenmorde in den letzten Jahren verdoppelt und unser Land liegt hier im EU-Spitzenfeld. Haben Sie eine Erklärung für diese bedenkliche Entwicklung?
Rotraud A. Perner: Vorerst: ich bin sehr kritisch gegenüber der Neuwortschöpfung des politischen Kampfbegriffes „Femizid“ analog Genozid oder – auch neu – Ökozid. Während Genozid eindeutig auf die geplante Ermordung Angehöriger bestimmter Ethnien hinzielt, wird kein weibliches ­Wesen nur wegen ihres Geschlechts ­getötet – außer in Indien (und logischerweise wenn bei einer fixierten Geisteskrankheit).
Diese bedauerlichen Taten wurzeln in der Beanspruchung des Rechts auf Rache und Bestrafung, Todesstrafe inbegriffen.

Dr. Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin und evangelische ­Theologin. Sie publizierte zahlreiche Bücher. Demnächst erscheint ihr neues Buch „Das Schweigen der Hirten Kirche und sexuelle Ausbeutung“ (edition roesner).

Welche Rolle spielt bei den Tätern von Frauenmorden bzw. bei Gewaltdelikten gegen Frauen die kulturelle Sozialisation? Laut Medienberichten haben viele der Täter einen Migrationshintergrund und stammen aus Ländern, in welchen Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Perner: Auch im zivilisierten Mitteleuropa werden Frauen nach wie vor dort als Menschen zweiter Klasse behandelt, wo es keine diesbezügliche soziale Kontrolle gibt. Wenn also nach kultureller Sozialisation gesucht wird, findet sich die eher in gewohnten Messerstechereien. Bei uns ist der „Taschenfeitel stets zur Hand“ zusammen mit den Lederhosen in den 1950er Jahren verschwunden.
Der primäre Grund ist die latente Gewalttätigkeit gegenüber Menschen, die sich nicht unterordnen – Kinder, Frauen, oft auch Elternteile – und die Widerstand weder ausdiskutieren noch respektieren, sondern brechen will.

Welche Rolle spielen finanzielle Ängste und Ängste um die Existenz, also Faktoren, die bei vielen Menschen durch die Corona-Krise verstärkt wurden?
Perner: Ich sehe hier wenig Zusammenhang mit Existenzängsten – eher mit Ängsten vor Imageverlust: in der Familie, im Freundeskreis … und dieser Dominanzanspruch trifft auch Männer.

Was treibt einen Menschen dazu, zum Äußersten zu gehen und einen anderen zu töten? Normalerweise gibt es ja entsprechende Hemmungen und Kontrollmechanismen.
Perner: Diese Hemmungen wirken nur bei Menschen mit funktionierender Impulskontrolle. Seit der Entdeckung der Spiegelnervenzellen Mitte der 1990er Jahre wissen wir, dass allein beim Zusehen einer Aktivität – egal ob live oder am Bildschirm – die gleichen Nervenzellen aktiv sind wie bei der beobachteten Person: man wird von deren Zustand und Handeln quasi „angesteckt“. Deswegen fordere ich ja seit langem Unterbrecherwerbungen mit entsprechender Aufklärung in etwa wie „Mit dem Verhalten bekommen Sie x Jahre Gefängnis! Wenden Sie sich an eine Beratungseinrichtung …“ Sage niemand, das zerstöre bei Filmen etc. den „Kunstgenuss“ (wenn es überhaupt einer ist). Unterbrecherwerbung kann auch genießbar sein – das beweist sich bei den sprechenden Tieren von Servus TV.
Und man braucht positive Vorbilder – wäre eine Aufgabe für unser Staats-Fernsehen. Ich habe dazu noch in den 1990er Jahren unter Hauptabteilungsleiter Schiejok ein Modell vorgeschlagen. Das Konzept liegt bei mir in meinem Archiv.

Wie sehen Sie den Umgang der Politik mit dem Thema „Femizide“, wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?
Perner: Wie ich in meinem Konzept zum „Bündnis gegen Gewalt“ vorgeschlagen haben: im Zusammenwirken aller Ressorts, Länder und Parteien, überall für verbale Problemlösungen Vorbild zu sein – und das bedeutet Schulungen für gewaltverzichtende Sprache. Und dies ist nicht gleichbedeutend mit den viel beworbenen Trainings in der sogenannten „GFK = gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg, denn wenn ich will, dass die/der andere so ist wie ich will, ist das bereits Gewalt! Kennen wir doch von Eltern …

„Beratungsnischen sind ­wichtig, erreichen aber nicht die ­männliche Zielgruppe“.

Haben Sie den Eindruck, dass das Thema Frauenmorde von der Politik instrumentalisiert wird?
Perner: Von manchen Personen und Personengruppen sicher, die damit mehr Budgetgelder für ihre gewohnte Arbeit akquirieren wollen – aber das bedeutet Schaffung von Beratungsnischen. Die sind zwar wichtig, erreichen aber weder die männliche Zielgruppe noch lösen sie das Problem des Umgangs mit „unbotmäßigen“ Menschen, insbesondere Frauen. Dazu muss man schon im Kindergarten ansetzen – und zwar in aktuellen Konfliktsituationen. Steht alles in meinem jüngsten Buch „Friedenserziehung in der Elementarpädagogik“, LIT Verlag. Und: wir sollten auch nicht wegschauen, wenn „schlimme“ Babys zu Tode geschüttelt werden – es ist das gleiche Muster: Verzweiflung oder Sich-wehren als Kampfangebot misszuverstehen und nur „Bestrafen“ als Lösung zu kennen.

Betrachten wir abschließend das Thema Mord und Frauen aus anderer Perspektive: Warum erregen Fälle wie Estibaliz C., Elfriede Blauensteiner oder die Lainzer Krankenschwestern so viel Interesse?
Perner: Aristoteles hätte „Katharsis“ – Reinigung von eigenen dunklen Seelenanteilen – vermutet. Wenn man selbst auf Gewalt verzichtet, will man auch belohnt werden und sehen, wie die „bösen Anderen“ bestraft werden. Für Männer, die Sieger sein wollen, sind das wehrhafte Frauen. „Für den Fluss sind es die Brücken, die fließen“, sagt eine chinesische Weisheit.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

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