Frankreich: Vorschau auf die Wahl zur Nationalversammlung am 12. und 19. Juni

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Ministère français de l’Enseignement supérieur et de la recherche Lizenz: CC BY-SA 2.0


Kommt es zu einem Zusammenschluss der patriotischen Kräfte?

Bei der Parlamentswahl 2017 erhielt die Partei La République en Marche (LREM) des kurz davor zum Präsidenten gewählten Emmanuel Macron 308 (davon bloß zwei im ersten Wahlgang) der 577 Mandate in der Nationalversammlung (Assemblée nationale; davon sind zehn Plätze für die Überseegebiete vorgesehen sowie elf für die Auslandsfranzosen; so stellen zum Beispiel die vielen in der Schweiz lebenden Franzosen stets einen eigenen Mandatar, der ihre speziellen Interessen wahrnimmt).

Die gemäßigt konservativ-christdemokratischen Les Républicains  holten sich 112, die davor regierende Parti Socialiste (PS) verlor stark und kam nur noch auf 30 Sitze (2012: 208). Der Mouvement Démocrate (MoDem; dt. Demokratische Bewegung), eine zentristisch-liberale Formation unter Führung von François Bayrou errang 42 Mandate.

Zuletzt die kleinen Gruppen: 18 Parlamentarier gehören zur Union des Démocrates et Indépendants (Mitte-Rechts), 17 Abgeordnete ressortieren zu Jean-Luc Mélenchons Bewegung La France insoumise (FI; dt. unbeugsames Frankreich; darunter Mélenchon selbst ), zehn PCF-Kommunisten, ein Dutzend diverser Linksmandatare, Front National (nun Rassemblement National, RN) acht Sitze (darunter Marine Le Pen), eine halbes Dutzend diverser Rechtsdeputierter, fünf Regionalisten, drei Unabhängige, drei Abgeordnete des PRG (Parti Radical de Gauche; dt. Radikale Partei der Linken; es handelt sich, entgegen dem Parteinamen, um Linksliberale), ein Grüner, ein Rechtsextremer sowie schließlich Nicolas Dupont-Aignan, der mit seiner Rechts-Formation Debout la France! (dt. ungefähr: Steh‘ gerade, Frankreich).

Das Wahlrecht ähnelt dem britischen, ist also ein Mehrheitswahlrecht, jedoch fast immer in zwei Durchgängen, da kaum ein Bewerber im ersten Anlauf die 50-%-Hürde schafft. Beim zweiten Durchgang dürfen alle kandidieren, die im ersten zumindest ein Achtel der Stimmen erhalten haben. In der Praxis treten allerdings Bewerber zugunsten eines aussichtsreicheren Kandidaten zurück.

Die Republikaner sowie die Sozialisten können sich infolge des Abschneidens ihrer Kandidatinnen (Valérie Pécresse mit 4,8 % sowie die rote Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo mit 1,8 %) keine berechtigten Hoffnungen auf das Halten ihrer bisherigen Mandatszahl machen. Auch Macrons Bewegung LREM wird kräftig Federn lassen müssen. Spannend wird, inwieweit die beiden Formationen der Mitte – die Demokratische Bewegung von François Bayrou sowie die Union der Demokraten und Unabhängigen – ihre jeweilige Stärke behalten können.

Wenn man das Ergebnis der Präsidentschaftswahl als Messlatte nimmt, so wird auf der linken Seite aller Wahrscheinlichkeit nach Jean-Luc Mélenchon den Großteil der Ernte einfahren. Wie aber wird die patriotische Rechte abschneiden? Nummerisch besehen kommen die drei Präsidentschaftsbewerber Marine Le Pen, Éric Zemmour und Nicolas Dupont-Aignan zusammengenommen auf beeindruckende 32, 3 %. Dazu wird sich der rechte Flügel der Republikaner, geführt von Éric Ciotti, gesellen. Alles in allem eine gute Ausgangsposition – eine Einigung vorausgesetzt. Zumal ein Teil der Mélenchon-Wähler bei einem Zweikampf zwischen einem Bewerber aus dem Macron-Lager und einem sozial-patriotischen Kandidaten durchaus für den letzteren zu votieren bereit ist.

Ein derartiges Bündnis der Patrioten bereitet so manchem Journalisten Kopfzerbrechen. Etwa Jean-Yves Camus. Er beschäftigt sich im Wochenmagazin „Charlie Hebdo“ (Ausgabe vom 25. April) mit der Möglichkeit einer Union der Rechten bei der im Juni anstehenden Wahl zur Nationalversammlung. Für den 64-jährigen Politologen und „Rechtsextremismus-Forscher“ Camus (hierzulande wäre er im Dokumentationsarchiv gut aufgehoben) ist eine Zusammenarbeit aller patriotischen Kräfte, vor allem für den zweiten Durchgang, eine bedrohliche Vorstellung. Lassen wir ihn deswegen zu Wort kommen:

„Die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen, das mittlerweile klassische Face-to-Face einer Macron/Le Pen-Opposition, sollte uns nicht das Aufkommen einer neuen Partei auf dem politischen Schachbrett und ihre Ambitionen vergessen lassen: die der Union der Rechten … Arithmetisch und soziologisch summieren und ergänzen sich die Stimmen von Le Pen und Zemmour in der Perspektive der von Marion Maréchal und Reconquête! gewünschten Union der Rechten, die sie auf die ‚rechten‘ Republikaner ausdehnen wollen.“

Besonders alarmierend für Camus: „Der Anteil der Wähler von Jean-Luc Mélenchon, die für Marine Le Pen gestimmt haben, steigt. Die Stimme der Wähler von Jean-Luc Mélenchon war ein entscheidendes Thema in der zweiten Runde, da der rebellische Kandidat in der ersten Runde mit fast 22% der Stimmen den dritten Platz belegt hatte. Laut der von Ipsos-Sopra Steria vom 21. bis 23. April durchgeführten Umfrage stimmten 42% der Wähler von Jean-Luc Mélenchon in der zweiten Runde für Emmanuel Macron. Im Jahr 2017 waren es 52 %. Der Stimmrechtsanteil für Marine Le Pen steigt von 7% im Jahr 2017 auf 17% im Jahr 2022.“

Bewerber des RN dürfen in ihrem Wahlkreis beim zweiten Wahlgang auf eine erkleckliche Anzahl linker Mélenchon-Anhänger hoffen. Dazu kommt, so die Umfrage des erwähnten Instituts, ein Fünftel jener republikanischen Wähler, die bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme für Valérie Pécresse einlegten.

Fazit: Aller Voraussicht nach wird der nächsten Nationalversammlung eine starke patriotische Fraktion angehören.

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