Habermas contra kriegslüsterne Gutmenschen

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Wolfram Huke http://wolframhuke.de Lizenz: CC BY-SA 3.0


Essay des 92-jährigen Philosophen zum Ukraine-Konflikt

Jürgen Habermas, der gottgleich verehrte letzte Vordenker der „Frankfurter Schule“, erhebt nun aus seinem Altersdomizil am piekfeinen Starnberger See im Rahmen eines Gastbeitrages seine Stimme. Diesmal in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 28. April („Krieg und Empörung – Schriller Ton, moralische Erpressung: Zum Meinungskampf zwischen ehemaligen Pazifisten, einer schockierten Öffentlichkeit und einem abwägenden Bundeskanzler nach dem Überfall auf die Ukraine“).

Die Stellungnahme schlägt bei politisch korrekten Gutmenschen große Wellen. Habermas verteidigt die – inzwischen überholte – Haltung des SPD-Kanzlers Olaf Scholz (keine Lieferung schwerer Kriegsgeräte) und kritisiert die schrille Debatte um die Waffenlieferungen an das Kiewer Selenski-Regime, vor allem das hysterische Kriegsgeschrei der Grünen (gutes Beispiel:  der haarprachtmäßig auffällige bayerische Bundestagsabtgeordnete Anton Hofreiter, der keine andere Möglichkeit als den Transfer schwerer Waffen in die Ukraine sieht).

Mit der Verhängung drastischer Sanktionen, so Habermas, hätten die westlichen Staaten keinen Zweifel an ihrer Kriegsbeteiligung gelassen. Umso mehr müssten sie jeden weiteren Schritt einer militärischen Unterstützung abwägen. Und zwar deshalb, weil die Entscheidung, ob eine bestimmte Maßnahme als endgültiger Kriegseintritt aufzufassen sei, nicht beim Westen liege, sondern bei Wladimir Putin. Das zwinge zu einem zurückhaltenden Auftreten. Eine kriegstreiberische Logik vertrage sich schlecht mit der Zuschauerloge, aus der sie wortstark ertönt. Habermas‘ Fazit: Ein Krieg gegen eine Atommacht könne nicht gewonnen werden, deswegen seien Verhandlungen nötig. Zumindest ein Waffenstillstand.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“  (FAZ) reagiert Simon Strauss empört: „Das, was Habermas’ Wortmeldung so zweifelhaft macht, ist nicht sein oberlehrerhafter Aufruf zur Mäßigung, nicht seine widersprüchliche Charakterisierung des russischen Präsidenten (in einem Absatz wird er als ‘rational kalkulierender Machtmensch’, im nächsten als ‘unberechenbar’ vorgestellt), nicht seine reflexhafte Verteidigung einer sozialdemokratischen Politik, die von heute aus gesehen alles andere als rational gehandelt hat – es sind vor allem die rhetorisch ummantelten, fahrlässigen Denunziationen der ukrainischen Regierung. Nicht nur Selenskis ‘gekonnte Inszenierung’ wird abwertend angeführt, sondern auch dessen eindrucksvolle Verzweiflungsrede vor dem Deutschen Bundestag als ‘moralischer Ordnungsruf’ desavouiert. Habermas versteigt sich sogar dazu, auf ukrainischer Seite den Versuch einer

‚moralischen Erpressung‘ festzustellen.“

Strauss formuliert ziemlich robust: Der Chef-Kritiker der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit sieht seine Felle davonschwimmen. Alles, was Jürgen Habermas Zeit seines Lebens als politischer Kommentator erreicht zu haben meint, löst sich in diesen Tagen auf.

Im „Tagesspiegel“ schätzt Gregor Dotzauer dagegen die wohltuende Abgeklärtheit und bezwingende Klarheit: „Wenn in ferner Zukunft einmal ein Dokument gesucht wird, das der heillosen Zerrissenheit dieser Zeit exemplarisch Ausdruck verleiht: Habermas hat es geschrieben.“

Dotzauer weiter: „Angesichts der deutschen Hysterien, die rechte Bellizisten, gewendete linke Pazifisten und des empathielosen Zauderns geziehene Bedenkenträger um die richtige Antwort auf den Ukrainekrieg streiten lässt, ist der Essay, den der 92-jährige Philosoph Jürgen Habermas nun veröffentlicht hat, wohltuend abgeklärt. Und mehr als das: In der Beschreibung des Dilemmas, in dem die Ampelregierung in Bezug auf Waffenlieferungen steckt, könnte der am Donnerstag in der ‚Süddeutschen Zeitung‘ erschienene Text nicht eindringlicher sein. Sein Essay enthält keinerlei politische Handlungsanweisung – auch wenn Habermas die Zurückhaltung von Bundeskanzler Scholz verteidigt und die ‚bekenntnishafte Rhetorik der Erschütterung‘ von Außenministerin Annalena Baerbock als Ausweis eines wegen seiner Unmittelbarkeit fragwürdigen Moralismus heranzieht …“

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