Preßburg: Streit um Raketengeschenk an Kiew

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/ShinePhantom Lizenz: CC BY-SA 3.0


Slowakische Regierung führt das Volk an der Nase herum

Zurzeit ist der Luftraum über dem Staatsgebiet der Slowakei weitgehend entblößt. Lediglich zehn, noch aus Sowjetzeiten stammende MIG-29 stehen auf dem mittelslowakischen Stützpunkt Sliač (dt. Sliatsch) zur Verteidigung zu Gebote. Wieviel davon tatsächlich einsatzbereit sind, unterliegt militärischer Geheimhaltung. Die Maschinen sind zwar mit NATO-kompatiblem Gerät nachgerüstet, haben aber immerhin schon über vierzig Jahre (!) auf dem Buckel.

Das zweite Standbein der Luftabwehr unseres kleinen östlichen Nachbarn sind – oder besser gesagt: waren – S-300 Luftabwehr-Raketen, die zwar ebenfalls etwas aus der Mode gekommen sind, aber mit präziser Lenktechnik feindliche Flugzeuge und Raketen zerstören können.

Weswegen waren? Die Regierung in Preßburg hat nämlich vor wenigen Tagen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die S-300-Raketen (Anzahl unbekannt; vermutlich vier Batterien) an die Ukraine verschenkt. Dies im Rahmen einer zweitägigen Geheimoperation. Als Ersatz werde innerhalb einer Woche eine Batterie des Raketensystems Patriot aus den USA in den Osten der Slowakei kommen. Zudem verlegt die deutsche Bundeswehr zwei weitere Batterien Patriots in die Slowakei und für Mitte April ist die Ankunft einer holländischen Batterie vorgesehen. Verteidigungsminister Jaroslav Nad beschwichtigt: „Die hochmodernen PAC 3-Modelle der vier Batterien des High-End-Patriot-Systems haben ein unvergleichlich größeres Verteidigungspotential als das mittelmäßige S-300-System von 1987.“

Der Schritt des Preßburger Kabinetts kommt überraschend, weil die Regierung bisher stets erklärt hat, das Raketensystem sei für ihre eigene Verteidigung unverzichtbar. Auch die Art der Veröffentlichung ist ungewöhnlich: Regierungschef Eduard Heger von der OL’aNO-Partei (Abkürzung für dt. Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen; 53 Mandate) teilt der Bevölkerung am Freitag (8. April) die Neuigkeit in einer Videobotschaft während seiner Reise nach Kiew mit. Zu diesem Zeitpunkt sind die Raketen bereits in der Ukraine.

Wolodymyr Selenskij weiß das Geschenk zu schätzen und wendet sich per Video an die Bürger der Slowakei: „Vielen Dank für Ihre Hilfe … in diesem Krieg für die Freiheit. Ihre Regierung hilft uns und Sie helfen dem einfachen, sehr tapferen ukrainischen Volk. Vielen Dank.“ Auch US-Präsident Joe Biden und sein Verteidigungsminister Lloyd Austin danken der Preßburger Regierung für die Übergabe der Raketen.

Ganz anders die linke Opposition. Die beiden Ex-Ministerpräsidenten Robert Fico (Vorsitzender der Smer, dt. Richtung; 27 Sitze im 150-köpfigen Parlament) und Peter Pellegrini (Chef der 2020 von der Smer abgespaltenen Hlas, dt. Stimme; elf ehemalige Smer-Mandatare), sonst einander spinnefeind, werfen der Regierung vor, die Sicherheit des eigenen Landes zu gefährden. Regierungschef Heger, so Pellegrini, führe eine Regierung von Lügnern und Menschen, die sich am Schutz der nationalen Interessen vergehen. Fico gibt zu bedenken, das Raketensystem S-300 sei unverzichtbar für den Schutz der slowakischen Atomkraftwerke und Industrieanlagen. Er geht noch einen Schritt weiter: „Präsidentin Zuzana Čaputová und Premierminister Eduard Heger ziehen uns in den Krieg in der Ukraine.“

Hegers Retourkutsche erfolgt prompt. Aus Kiew lässt er ausrichten, Fico und Pellegrini handelten im Interesse Russlands. Und wörtlich: Herr Fico, Herr Pellegrini, Sie haben sich den Extremisten in Europa angeschlossen. Raus aus der slowakischen Politik und hinein in die russische Politik! Dort gehören Sie hin!

Angesichts der Härte der gegenseitigen Vorwürfe dürfte die von der Opposition bereits beantragte Sondersitzung des Parlaments (Landtag) ziemlich turbulent werden.

Ganz allgemein ist zu sagen: Das Verhalten der Regierung in Preßburg entbehrt nicht einer gewissen Va-banque-Gesinnung. Ist das Land doch in einem ähnlich großen Ausmaß von russischen Gaslieferungen abhängig.

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1 comment

Alois-Peter Register 11. April 2022 - 19:06

Die vier Batterien sind eh schon zerschrottet. Laut Reuters-Bericht von heute mittels russischer Kalibr-Marschflugkörper (https://www.reuters.com/world/europe/russia-strikes-s-300-missile-systems-given-ukraine-by-european-state-2022-04-11/). Zwar dementiert die Slowakei, aber so viele andere S-300s gibt es in Europa nicht.

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