Ukraine-Konflikt: Jörg Baberowski sieht eine düstere Zukunft

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Amrei-Marie Lizenz: CC BY-SA 3.0


Laut dem Historiker befindet Europa in einer schlechten Lage

Bald schon werden Rechnungen präsentiert. So lautet der Titel eines Gesprächs des Internet-Nachrichtendienstes t-online vom Donnerstag, dem 14. Juli, mit dem renommierten Zeitgeschichtler Jörg Baberowski (61), der Osteuropa-Geschichte an der Berliner Humboldt-Universität lehrt.

Um das Resümee Baberowskis vorwegzunehmen: Europa befände sich gegenüber dem längst schon siegreichen Putin in einer schier aussichtslosen Situation. Würden sich die US-Amerikaner aus dem Konfrontationsgeschehen zurückziehen (so wie in Vietnam oder in Afghanistan), dann stünden die Europäer Putin allein gegenüber. Spätestens dann würden die ersten europäischen Staaten aus der Anti-Russland-Koalition ausbrechen. Das alles wisse Putin, und er werde so lange Krieg führen, bis die Zweifel im Westen Europas zur Gewissheit würden. Für Europa bleibe laut Baberowski nur Realpolitik, für die er den deutschen Kanzler Olaf Scholz ausdrücklich lobt.

Mit Sanktionen wollte der Westen Russlands Angriffskrieger Wladimir Putin zur Räson bringen. Doch was ist bislang passiert? Deutschland zittert vor einem russischen Gas-Stopp, während die Truppen des Kremls in der Ukraine Boden gutmachen. Russlands Wirtschaft liegt zudem allen Erwartungen zum Trotz alles andere als am Boden.

Wladimir Putin habe schon oft bewiesen, dass er über Geduld verfügt. Nun warte er darauf, dass die Begeisterung im Westen für den Abwehrkampf der Ukrainer erlischt. Eine Illusion? Keineswegs, sagt Jörg Baberowski, einer der angesehensten Kenner Russlands und dessen Geschichte.

Lassen wir nun Baberowski in den wesentlichen Passagen des Interviews zu Wort kommen.

t-online: Professor Baberowski, der Westen hat harte Sanktionen gegen Russland verhängt, die ukrainische Armee verteidigt ihr Land mit Zähigkeit. Wladimir Putin scheint davon allerdings ungerührt zu sein. Wie gelingt ihm das?

Jörg Baberowski: Putin weiß genau, dass die Zeit für ihn spielt, ganz gleich, welche Sanktionen der Westen gegen Russland verhängt. Solange China, Indien und andere Länder Öl abnehmen, wird Putin die Sanktionen durch Exporte kompensieren können. Zurzeit ist der Rubel stabil, die russische Wirtschaft ist noch nicht kollabiert.

t-online: Dem Westen geht es wirtschaftlich dagegen gar nicht gut. Die Inflation ist hoch und die Angst insbesondere in Deutschland vor einem kompletten Stopp der russischen Gaslieferungen ist groß. Wird die westliche Front gegen Russland bald erodieren?

Baberowski: Die westliche Front gegen Putin bröckelt doch schon längst. Manche Unternehmen haben sich zwar aus Russland zurückgezogen. Andere aber machen weiterhin sehr gute Geschäfte mit den Russen. Nun steigen die Preise im Westen, die Inflationsrate ist auf einem Höchststand. Sobald der Winter anbricht, werden auch wir zu spüren bekommen, was es heißt, sanktioniert zu werden. Und bald schon werden Rechnungen präsentiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Bürger in den Ländern des Westens um jeden Preis Opfer erbringen wollen. Damit hat jede demokratisch legitimierte Regierung zu rechnen.

t-online: Was erwarten Sie nach den Sommermonaten?

Baberowski: Im Winter wird Putin seine mächtigste Waffe einsetzen können: die Abschaltung der Gasleitungen. Er weiß natürlich, dass die Unterstützung für die Ukraine schwindet, wenn sich die Wohnungen abkühlen und die Geldbeutel leeren. Deshalb ist er auch an keinerlei Verhandlungen interessiert und wird diesen Krieg so lange fortsetzten, bis die Einheitsfront im Westen erodiert.t-online: Wie steht die russische Bevölkerung zum Krieg in der Ukraine?

Baberowski: Es gibt auch in Russland Kritik an der Regierung und ihrem Angriffskrieg. Aber solche Kritik wird von Minderheiten formuliert und kommt in den offiziellen Medien überhaupt nicht vor. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung steht hinter Putin, von Kriegsmüdigkeit ist gar nichts zu spüren … die Erwartung, es werde in Russland zu Protesten kommen, ist eine Illusion.

t-online: Viele Russen haben aber enge Bindungen an die Ukraine. Sehen Sie da gar keine Skrupel, das Land so brutal zu zerstören?

Baberowski: Für die meisten Russen ist dieser Konflikt überhaupt kein Krieg zwischen zwei souveränen Staaten, sondern ein Bürgerkrieg, der dem Ziel dient, eine abtrünnige Provinz ins Imperium zurückzuzwingen. Putin will die Ukrainer für ihren “Verrat” bestrafen, so sieht es die russische Öffentlichkeit.

t-online: Die Ukrainer sind doch im Recht, wenn sie ihr Land gegen den Aggressor verteidigen, Putin hat das Völkerrecht gebrochen.

Baberowski: Im Recht zu sein, heißt nicht, auch zu können, was man will. Es ist zweifellos moralisch geboten, sich einem Angriffskrieg zu widersetzen. Aber wer sich ihm erfolgreich widersetzen will, darf doch auch die Grenzen des Möglichen nicht aus den Augen verlieren …

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