„Wir kennen die Tschechen besser“

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Der Vertreibung Millionen Sudetendeutscher wurde nicht entsprechend gedacht!

Bundesobmann der Sudetendeutschen Gerhard Zeihsel zu 75 Jahre Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutschen.

Herr Bundesobmann, der 8. Mai ist von den offiziellen Stellen der österreichischen Republik feierlich begangen worden. Was ist von dieser Stelle eigentlich für die vor 75 Jahren vertriebenen Altösterreichern aus dem Sudetenland geschehen?
Gerhard Zeihsel: Man muss dieses Datum immer aus der Sicht der Betroffenen sehen. Natürlich war es für jene, die damals Gegner des Dritten Reiches gewesen sind, oder gar jene, die im KZ gesessen sind, eine Befreiung. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass die Russen in Österreich keinen Unterschied bei der Vergewaltigung gemacht haben, ob das die Frau eines Hitler-Funktionärs oder die eines Hitler-Gegners gewesen ist.

Die Beneš-Dekrete

Die „Beneš-Dekrete“ vom Mai 1945 legten die juristische Grundlage für die Vertreibung der Sudetendeutschen. Bereits im Oktober äußerte sich 1943 Edvard Beneš (s. Bild rechts) in London in kleinem Kreis wie folgt: „Den Deutschen wird mitleidlos und vervielfacht all das heimgezahlt werden, was sie in unseren Ländern seit 1938 begangen haben.“ Der Ton verschärfte sich noch weiter, im Ostslowakei von deutschen Truppen besetzt war, rief der tschechoslowakische Militärbefehlshaber Sergej Ingr in der BBC auf: „Schlagt sie, tötet sie, lasst niemanden am Leben.“
Auslöser für die sofort nach Kriegsende beginnende Massendeportation und die damit einhergehende Gewalt war wiederum Beneš, der nun auch für die formaljuristische Basis des Vorgangs sorgte, vorerst durch Präsidialdekrete, bald durch parlamentarisch beschlossene Gesetze. Nach ersten wilden Vertreibungen wurde aufgrund der Beneš-Dekrete das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der deutschen Einwohner konfi sziert und unter staatliche Verwaltung gestellt. Jedoch wurden nicht nur zahlreiche Bewohner enteignet und vertrieben, sondern auch ermordet: Die in deutschen statistischen Erhebungen angegebenen Werte streuen zwischen 220.000 und 270.000 ungeklärten Fällen, die vielfach als Todesfälle interpretiert werden, die in bisher vorliegenden Detailuntersuchungen genannte Größe liegt zwischen 15.000 und – maximal – 30.000 Todesfällen. ♦

Inwieweit wurde jetzt der Jahrestag der Vertreibung der Sudetendeutschen in Österreich gedacht?
Zeihsel: Da ist man einfach darüber hinweggegangen. Natürlich ist da auch „die Corona-Zeit“ ins Spiel gekommen. Praktisch alle öffentlichen Veranstaltungen waren zu dieser Zeit nicht möglich gewesen. Nichtsdestoweniger aber gab es auch hinsichtlich der medialen Berichterstattung keinerlei Initiativen der österreichischen Verantwortlichen. Hier bei uns, im Haus der Heimat, haben wir die letzte Veranstaltung zu diesem Thema am 7. März abgehalten. Das war das Märzgedenken der Sudetendeutschen.

Worum handelt es sich bei diesem Märzgedenken?
Zeihsel: Nach dem Ersten Weltkrieg gab es große Demonstrationen der sudetendeutschen Sozialisten, denen sich aber auch alle anderen Parteien angeschlossen hatten. Es ging den Sudetendeutschen  in der neu entstandenen Tschechoslowakischen Republik um den Verbleib bei Österreich. Alles eigentlich im Sinne des Programmes von Woodrow Wilson, der nach dem Krieg ja das Selbstbestimmungsrecht der Völker gefordert hatte. Die Teschechen haben daraufhin in manchen Städten einfach in die friedlichen Versammlungen hineingeschossen. Bei dieser Gelegenheit gab es damals, am 4. März 1919, 54 Tote.

Man hat heute das Gefühl, dass sich nicht Österreich, die Sudetendeutsche sind ja Altösterreicher, sondern eher Bayern und die Deutsche Bundesrepublik um die Vertriebenen gekümmert haben …
Zeihsel: Das hat natürlich damit zu tun, dass nach Bayern über eine Million Sudetendeutsche vertrieben wurden. Bayern war damals vorwiegend ein Agrarstaat und die Sudetendeutschen waren hervorragende Industriearbeiter und -fachleute. Die haben in weiterer Folge dann aus Bayern das gemacht, wofür es heute auch steht, nämlich ein modernes, profitables Industrieland.

Wenn Sie jetzt Zahlen nennen, können wir vielleicht die Vertreibung einmal quantifizieren?
Zeihsel: Insgesamt waren es drei Millionen Vertriebene. Nach Österreich kamen damals rund 180.000, eine Million ging nach Bayern und der Rest hat sich auf die anderen deutschen Bundesländer verteilt.

Das sind ja ungeheure Zahlen. Was ist aber heute, nach 75 Jahren, noch übriggeblieben?
Zeihsel: Wir sind noch da! Man versucht aber, uns auch aus der Geschichte zu verdrängen.

Wie viele Sudetendeutsche sind in ihrer Heimat verblieben und haben versucht, dort ihr Dasein zu fristen?
Zeihsel: Es sind ca. 250.000 dort verblieben. Viele davon wurden gezwungen. Und zwar solche, die leitende Positionen in den Industrien, vor allem in der Textilindustrie, bekleidet hatten. Die Betriebe wurden verstaatlicht, der Sudetendeutsche hatte immer noch seine leitende Position gehabt, in seinem Haus allerdings musste er Miete zahlen.

In einem Gespräch mit der Zur-Zeit hatte Otto von Habsburg als EUAbgeordneter noch gefordert, dass die Tschechische Republik die nach seiner Aussage menschenverachtenden Beneš-Dekrete abschaffen müsse, wenn sie in die EU mit deren Wertevorstellungen kommen wolle. Was ist daraus geworden?
Zeihsel: Wir hatten damals jene zwölf „schmutzigen“ Dekrete, die die Sudetendeutschen betroffen haben, öffentlich aufgezeigt und auf deren Abschaffung, bzw. Korrektur gedrängt. Verschiedene Landtage und auch der Nationalrat sind durchaus auf unsere Forderungen eingegangen. Leider hat sich dann der damalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel mit der Erklärung, bei einer Mitgliedschaft der Tschechischen Republik in der EU ließe sich dann alles viel leichter regeln, durchgesetzt. Wir haben damals bereits gesagt: „Wir kennen die Tschechen besser“. Und leider haben wir Recht behalten.

Ist auch nur etwas ge-schehen, um dann nach dem Eintritt Tschechiens in die EU irgendetwas an deren Beneš-Dekrete zu ändern?
Zeihsel: Mir ist diesbezüglich nichts bekannt. Es gab lediglich eine Initiative der Ungarn, vor allem gegen die Slowakei. Im EU-Parlament blieben sie aber in der Minderheit. Dort bekamen sie die Unterstützung von einigen CSU-Abgeordneten und einzelnen FPÖ-Parlamentariern. Das einzige, was sich verbessert hat für die Sudeten-deutschen, war der Reiseverkehr.
Zu Ihnen selbst, haben Sie bereits einen Nachfolger für die Sudetendeut-sche Landsmannschaft vorgesehen?
Zeihsel: Ich habe drei Stell-vertreter, und aus diesem Kreis wird wohl auch mein Nachfolger kommen.

Das Gespräch führte Walter Tributsch.

[Autor: Bild: Wikipedia/Forrás: Sudetendeutsche Stiftung Lizenz: CC BY-SA 1.0]

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