Die rote Linie des „Presse“-Chefredakteurs Rainer Nowak
In der angesehenen Wiener Tageszeitung „Die Presse“, die man mit einigem Wohlwollen noch als linksbürgerlich charakterisieren kann, erscheint am Samstag (20. Juni) ein Leitartikel des Chefredakteurs Rainer Nowak, in dessen Rahmen er den Versuch unternimmt, rechtswidrige Handlungen von Promis und Politikern gleichsam dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen. Nach seiner Vorstellung sollte über deren Vergehen nicht breit berichtet werden. Als Vorwand dafür dient dem „Presse“-Chefredakteur der Schutz des Privatlebens der Betroffenen.
Lassen wir Rainer Nowak im Original zu Wort kommen:
„Zuletzt möchte ich an dieser Stelle ein Unbehagen formulieren, das gerade den österreichischen Journalismus betrifft. Das Privatleben von Politikern und Prominenten galt im Gegensatz zu Yellow-Press-Ländern wie Großbritannien immer als Tabu, was der publizistischen Kultur nicht geschadet hat. Der Persönlichkeitsschutz wurde ernst genommen. Ein Beispiel: Der Führerscheinentzug einer pensionierten (!) Höchstrichterin und Kurzzeit-Politikerin wegen Überschreitens der Promillegrenze sollte nicht breit berichtet werden. Da werden in mehreren Medien rote Linien überschritten. Was Österreich nicht transparenter, sondern rauer, geifernder macht.“
Frage eins: Was soll das ominöse Rufzeichen nach dem Wort pensionierten? Eine Richterin wird niemals „pensioniert“, sondern stets in den Ruhestand versetzt. Das ist keine Wortklauberei, denn ein Beamter unterliegt im Unterschied zu einem ASVG-Pensionisten auch während der Dauer des Ruhestandes dem Disziplinrecht seiner Berufsgruppe. Frau Bierlein hat sich folglich so zu verhalten, dass sie das Ansehen der Richterschaft nicht beeinträchtigt.
Frage zwei: Weswegen sollte über einen Fall nicht (Nowak schreibt nicht breit, um sich ein Hintertürl offen zu lassen) berichtet werden, wenn das die Öffentlichkeit sehr wohl interessiert? Zumal Frau Bierlein für das Amt des Staatsoberhauptes im Gespräch ist (noch ziert sie sich). Wenn ein Politiker eine (verwaltungs-)strafrechtlich zu ahndende Handlung begeht, wie zum Beispiel Trunkenheit am Steuer, dann ist das sehr wohl ein Kriterium, ob man einer solchen Kandidatin sein Vertrauen schenkt.
Frage drei: Herr Nowak legt sein Augenmerk auf die Persönlichkeitsreche der Frau Bierlein. Wie steht es aber um die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer, etwa deren Recht, nicht von einer betrunkenen Lenkerin an Leib und Leben geschädigt zu werden?
Folgt man der Argumentation des Chefredakteurs der „Presse“, dann hieße das: Polit-Promis können sich unbesorgt ans Steuer setzen, auch dann, wenn sie fahruntüchtig sind. Weil die Öffentlichkeit dank der von Herrn Nowak höchstpersönlich gezogenen roten Linie eh nichts davon erfährt. Die Verwaltungsstrafe ist da nebensächlich. Die begleicht man mit links – eine Kleinigkeit angesichts der Gage, die Monat für Monat aus Steuermitteln überwiesen wird.
[Autor: E.K.-L. Bild: Flickr/Karl Gruber Lizenz: CC BY-SA 4.0]