Prag: Neue Regierung unter Ministerpräsident Petr Fiala

by admin2

Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Ben Skála, Benfoto Lizenz: CC BY-SA 4.0


Der kranke Staatschef Miloš Zeman trennt sich nur ungern vom bisherigen Premier Andrej Babiš

Am 8. und 9. Oktober fand bei unserem nördlichen Nachbarn Tschechien die Neuwahl des 200-köpfigen Abgeordnetenhauses (Unterhaus) statt. Dabei errang das Parteienbündnis SPOLU (dt. gesamt) – bestehend aus der Demokratischen Bürgerpartei ODS (Gründer: Václav Klaus), der TOP 09-Formation (Galionsfigur: Karel Fürst Schwarzenberg) sowie den Christdemokraten (KDU-ČSL) – einen Stimmenanteil von 27,79 %.

Knapp dahinter lag die ANO (dt. ja/jawohl) des bisherigen Ministerpräsidenten Andrej Babiš mit 27,12 %, auf dem dritten Platz ist ein Bündnis aus der Piratenpartei und der Bürgermeister-Vereinigung SPAN mit dem Spitzenkandidaten Ivan Bartoš mit 15,62 % zu finden. An vierter Stelle befindet sich die SPD mit 9,56 % (die tschechische SPD unter dem japanisch-tschechischen Mischling Tomio Okamura ist mitnichten eine sozialdemokratische Partei, sondern wird allgemein als rechtspopulistisch eingeschätzt).

Die anderen Parteien konnten die Fünfprozenthürde nicht nehmen, darunter die traditionsreiche Sozialdemokratische Partei ČSSD sowie die der roten Diktatur nachtrauernde KSČM (Kommunistische Partei von Böhmen und Mähren). Was die in Südmähren sowie im Grenzgebiet zur Slowakei relativ starken Christdemokraten angeht, so haben diese taktisch klug gehandelt, indem sie im Rahmen des Bündnisses SPOLU angetreten sind, schrammte die Partei doch bei Wahlen öfters an der Fünfprozentmarke vorbei und fiel zeitweise aus der Volksvertretung (so 2010). Eine ganz ähnliche Konstellation findet sich in Ungarn, wo die Christdemokraten (KDNP) zweimal an der Fünfprozenthürde gescheitert sind (1998, 2002) und ab 2006 in einer Listenverbindung mit Viktor Orbáns Fidesz antreten.

Die neue Sitzverteilung in der tschechischen Abgeordnetenkammer stellt sich wie folgt dar: 72 ANO, 71 SPOLU (die interne Verteilung lautet: 34 ODS, 23 Christdemokraten und 14 TOP 09), 37 SPAN/Piraten (33 SPAN sowie 4 Piraten) und 20 SPD. Man bemerkt: Die Eigenart des tschechischen Wahlrechts macht es möglich, dass die ANO-Partei trotz eines geringeren Stimmenanteils mandatsmäßig vor der SPOLU liegt.

Da sich die beiden Gruppierungen SPOLU und SPAN-Piraten in den letzten Wochen auf eine gemeinsame Regierungsbildung geeinigt hatten, ernannte der zurzeit etwas lädierte Staatspräsident Miloš Zeman den SPOLU-Anführer Petr Fiala zum Premierminister. Wie man hört: eher widerwillig, da Zeman viel auf den bisherigen Regierungschef Babiš hält. Dies teilte am Dienstag (9. November 2021) ein Sprecher der Präsidialkanzlei auf der Prager Burg (Hradschin) mit.

Der neue Regierungschef Petr Fiala (57) ist ein gebürtiger Brünner, stammt sohin aus Mähren, was seiner Reputation in Prag, wo viele auf die vermeintlich bäuerlichen Mährer etwas scheel  herunterschauen, bisweilen nicht besonders förderlich gewesen ist. Der dreifache Familienvater arbeitet im Zivilberuf als Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Masaryk-Universität in Prag. Kurzzeitig amtierte Fiala als Minister für Bildung, Jugend und Sport (2012/13). Seit Jänner 2014 amtiert er als Parteichef der ODS.

Fialas Volkstümlichkeit zeigte sich darin, dass er bei der Wahl im Oktober als Spitzenkandidat im Wahlkreis Südmähren einen der höchsten Stimmenanteile für SPOLU (genau 30 %) erringen konnte; bloß im Wahlkreis Prag war SPOLU mit vierzig Prozent noch besser, was auch auf die TOP 09-Bewegung des Fürsten  Schwarzenberg zurückzuführen ist, die dort ihren Schwerpunkt hat.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: Auch im Senat (Oberhaus) mit 81 Mitgliedern verfügt die neue Koalition über eine satte Mehrheit: 27 Senatoren gehören der Fraktion ODS/TOP 09 an, weitere 24 der STAN, 12 sind Christdemokraten.

Es bleibt abzuwarten, ob die neue Regierung des Petr Fiala einen ebenso selbstbewussten und mitunter kritischen Kurs gegenüber Brüssel fährt. Weiters, ob Tschechien auch in Zukunft mit Polen, Ungarn und der Slowakei eng zusammenarbeitet (Visegrád-Vier). Wichtig auch, wie sich die Einstellung des neuen Kabinetts gegenüber den vertriebenen Sudetendeutschen darstellt. Und vor allem, ob es bei der Politik einer strikten Ablehnung der massenhaften Zuwanderung aus Asien bleibt – Staatschef Zeman und Premier Babiš waren bisher Garanten hierfür.

Das könnte Sie auch interessieren