„Die halbe Wintersaison wäre noch zu retten!“

by admin2

Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung (IV), über die wirtschaftlichen Folgen der ­Coronakrise, „Lockdown 2“ und den „Offenhaltensdreiklang“

Herr Doktor Helmenstein. Bei unserem Interview im April, nach dem ersten „Lockdown“ hat die Industriellenvereinigung die zu erwartende Rezession mit 7,2 Prozent beziffert, sind Sie jetzt auch noch dieser Meinung?
Christian Helmenstein: Vorab ist einmal festzustellen, dass die Industriellenvereinigung die einzige Institution war, die von sich aus, aus eigenem Antrieb eine Prognose zur Entwicklung der Konjunktur in Österreich vorgelegt hat. Ursprünglich war die Bank Austria bei neun Prozent gelegen, dann gab es auch Vorhersagen mit drei Prozent. Vor dem Hintergrund des zweiten „Lockdowns“ kann man natürlich noch einmal nachschärfen. Der zweite „Lockdown“ fällt hinsichtlich der wirtschaftlichen Wirkungen weitaus weniger scharf aus als der erste. Das führt dazu, dass wir nun den Rückgang des Bruttoinlandproduktes mit 8,1 Prozent im Jahr 2020 bemessen.

 

Dr. Christian Helmenstein ist Chefökonomder Industriiellenvereinigung (IV) (Bild: iv.at/Kurt Prinz)

 

 

 

 

 

 

 

 

Ist diese Zunahme vielleicht darauf zurückzuführen, dass man vielleicht gar nicht mit einer zweiten Welle gerechnet hat?
Helmenstein: Das hängt mit einer ganzen Reihe von Punkten zusammen, die man damals noch nicht hatte. Wir hatten schon erwartet, dass sich der Städtetourismus außerordentlich schwertun würde. Darüber hinaus gab es die Reisewarnungen für Österreich, die das Geschäft im Dezember massiv beeinträchtigen. Der zweite „Lockdown“, der ja ganz massiv Teile des Einzelhandels trifft, kommt jetzt obenauf. Das hatten wir zu einem großen Teil schon richtig berücksichtigt. Wir haben es jetzt aber auch mit einem hohen Grad der Anpassung zu tun. Das soll heißen, dass Unternehmer gerade in einer Marktwirtschaft sich an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen lernen und versuchen, den entstehenden Schaden für sich möglichst zu minimieren. Ich denke da zum Beispiel an „Gastrolieferservices“ Wir haben in der Industriellenvereinigung dafür geworben, dass wir einen „Offenhaltensdreiklang“ aufrecht erhalten würden…

…was ist unter dem „Offenhaltensdreiklang zu verstehen?
Helmenstein: Das sind offene Betriebe, offene Grenzen, was den Güter- und Personenverkehr angeht, und offene Kindergärten und Schulen. Leider konnte das mit dem „Lockdown 2“ nicht mehr ganz realisiert werden. Anfangs sah es ja so aus, als könnte das im Wesentlichen umgesetzt werden, das ist jetzt leider aber nicht so gekommen. So wurden teilweise die Schulen nicht offengehalten und auch nur ein Teil von Betrieben konnten offen ihrem Geschäft nachgehen. Aber immerhin!
Das ist jetzt schon eine ganz andere Situation als beim „Frühjahrslockdown“. Und daher werden diesmal auch die wirtschaftlichen Schäden geringer ausfallen. Dazu kommt, dass dieser „Lockdown“ auch mit drei Wochen begrenzt ist. Das ist eine Phase, die man als Unternehmen noch recht gut antizipieren kann. Es ist vergleichbar etwa mit längeren Feiertagsperioden. Da kann vorgearbeitet werden und da kann dann auch nachgearbeitet werden. Das heißt, mit einer Kapazitätsanpassung vorher und nachher können die Folgen seitens der Unternehmen auch gemildert werden. Hier haben wir einen wesentlichen Unterschied zum Frühjahrslockdown, der wesentlich länger gedauert hat. All das zusammengenommen führt nun dazu, dass wir jetzt mit einer Einbuße von 8,1 Prozent rechnen.

Sie haben ja eingangs davon gesprochen, dass der Tourismus besonders hart getroffen wird. Österreich ist jetzt ja für die anderen europäischen Länder als Ganzes eine „Rote Zone“. Rechnen Sie eigentlich noch damit, dass unser berühmter Wintertourismus in dieser Saison stattfinden wird?
Helmenstein: Das kann man nur als konditionale Aussage, als „Wenn-dann-Aussage“ nehmen. Noch haben wir die Chance, dass wir zu mindestens die zweite Hälfte der Wintersaison, ich denke da an die Energieferien, retten werden können. Jetzt geht es vor allem aber einmal darum, dass wir wesentliche Teile des Weihnachtsgeschäftes retten, dass wir nicht allzu große Abflüsse an den internationalen Onlinehandel hinnehmen müssen. Und dann geht es vor allem darum, den Wintertourismus im anlaufenden nächsten Jahr zu realisieren.
Sie haben für die Industriellenvereinigung die Offenhaltung der Geschäfte verlangt. Jetzt gibt es die Forderung, auch am

Sonntag die Geschäfte offenhalten zu können. Das kommt nicht nur vom Chef der Bundeswirtschaftskammer, sondern auch von Richard Lugner etwa oder anderen Gewerbetreibenden. Kann ich davon ausgehen, dass Sie eine ähnliche Einstellung vertreten?
Helmenstein: Wir würden das allgemeiner sehen wollen. So haben wir in dieser Situation schon eine Reihe von unkonventionellen Maßnahmen gesehen. Wir sollten im Rahmen der Gesetze alle unkonventionellen Überlegungen in Betracht ziehen. Auch die Sonntagsöffnung ist zu evaluieren und auszuprobieren.
Wenn wir positive Effekte für die Wirtschaft feststellen können, sollten wir diese Neuerungen auch in unsere Gesetze übernehmen. Das ist die Chance, die wir jetzt haben.

Sollte Österreich, wie viele andere Länder in Europa, die Geschäfte auch am Sonntag offen halten können, wenn das sich nun in dieser Krisensituation als sinnvoll herausstellt?
Helmenstein: Ja, das ist aber nicht nur auf diese eine Maßnahme bezogen, sondern auf alle, die jetzt in der Covid-19-Zeit ausprobiert werden. Und es kann schließlich natürlich auch Teillösungen geben. Bezogen auf ihr Beispiel der Sonntagsöffnung könnte das sein,dass wir künftig z. B.: einen halben Sonntag festlegen. Damit würden sich die Käuferströme besser verteilen. Darüber sollten wir dann einen demokratischen Diskurs führen können.

Der Interessensvertreter, der in diesem Fall dagegen ist, ist jener der Arbeitnehmer. Sie zeigen sich nicht völlig abgeneigt, wollen aber Gegenleistungen dafür haben, wie etwa den „Corona-Tausender“. Würden Sie das auch befürworten?
Helmenstein: Dazu möchte ich nicht Stellung nehmen, weil die Industriellenvereinigung hier ja als Partei gesehen wird und alles noch ausverhandelt werden muss.

Man kann aber auch anführen, dass zusätzliches Kapital bei den Arbeitnehmern auch deren Konsumbereitschaft steigern würde, und das käme auch wieder den Industriebetrieben gerade vor Weihnachten zugute …
Helmenstein: … wir müssen hier zumindest auf zwei Punkte Rücksicht nehmen. Das Geld kann gar nicht zur Gänze in den Konsum fließen, weil erstens nicht alle Betriebe geöffnet haben, bei denen konsumiert würde und weil viele Arbeitnehmer dieses Geld natürlich sparen würden, um sich damit eine Vorsorge zu schaffen, wenn sie zum Beispiel von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Es gibt bereits ein sogenanntes Vorsichtssparen, zumindest so lange, bis noch kein Impfstoff konkret in Aussicht ist. Ich hege daher große Zweifel, dass der „Corona-Tausender“ in vollem Umfang in den Konsum fließen würde. Zum Zweiten muss man davon ausgehen, dass solche Konsumimpulse, wie auch in normalen Zeiten zu einem erheblichen Teil in den Import fließen würden. Das ist daher keine besonders effektive Maßnahme für die heimische Wirtschaft. Das ist aber auch den Verhandlungen der Kollektivvertragspartner vorbehalten.

Eine Maßnahme, die der Bundeskanzler vorgeschlagen hat, ist die Massentestung, ähnlich der, die sich in der Slowakei als erfolgreich erwiesen hat. Was halten Sie davon?
Helmenstein: Ich halte das in doppelter Weise für positiv. Erst einmal können wir damit Menschen schützen, die es noch gar nicht wissen, dass sie angesteckt sind und zweitens, weil wir damit wirtschaftlich in der Lage sind, wenigstens einen Teil der Wintersaison zu retten. In der Slowakei hat sich herausgestellt, dass lediglich 1 Prozent angesteckt ist.
Für 99 Prozent kann daher das Leben normal weitergehen, das ist doch genial. Das sehe ich auch so, wenn wir jetzt mit flächendeckenden Testungen fortfahren!

Das Gespräch führte Walter Tributsch.

[Autor: Bild: PxHere Lizenz:-]

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