“Medien werden immer unkritischer gegenüber der Regierung”

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Der Medientheoretiker Norbert Bolz über das Verhältnis zwischen Medien und ­Regierung, Meinungskonformismus, die ­Gefahren des „Haltungsjournalismus“ und die Chancen durch das Internet.

Herr Professor Bolz, seit gut einem Jahr ist Corona das mediale Thema schlechthin. Wie beurteilen Sie die Berichterstattung? Wird vielleicht die „Avantgarde der Angst“, wie der ­Titel Ihres jüngsten Buches lautet, befeuert?
Norbert Bolz: Die Coronakrise wird von den Massenmedien selbstverständlich genauso behandelt wie andere Krisen und Katastrophen auch, nämlich als eine Möglichkeit, Publikum zu faszinieren durch Angst. Das ist eine Technik, die man, seit es die Medien gibt, beobachten kann. Angst zu schüren gehört mit zum Handwerk der Massenmedien – einfach deshalb, weil man Aufmerksamkeit schafft, und vor allem, weil man dann das Thema auf Dauer stellen kann. Denn solange die Menschen Angst haben, sind sie an einem Thema interessiert, und man kann dann immer wieder neue Informationen, neue Warnungen, neue Mahnungen nachschieben. Das ist also bei den Massenmedien nichts Neues.
Ein bisschen anders ist es bei der Politik: Dass die Politik Angst schürt, ist natürlich sehr viel problematischer, und zwar einfach deshalb, weil wir ja im Grunde vom Staat und von den verantwortlichen Politikern erwarten, dass sie nicht für Angst, sondern für Sicherheit sorgt. Das ist offensichtlich doch ein etwas neueres Phänomen, dass man Politik macht mit der Angst, und das ist das, was ich für bedenklich halte. Also nicht die Reaktion der Massenmedien, die ist normal, man braucht Katastrophen, Skandale und ähnliches, um Aufmerksamkeit zu generieren. Aber dass die Politik sich gewissermaßen mit den Massenmedien mehr oder minder verbündet, ist sehr wohl ein durchaus bedenkliches
Phänomen.

Univ.-Prof. Dr. Norbert Bolz ist Medien- und Kommunikations­theoretiker. Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2018 lehrte er als Professor für Medienwissenschaften an der TU Berlin.

 

Wenn Sie gerade Politik und Massenmedien ansprechen: In Österreich hat 2020 die öffentliche Hand 47 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor für verschiedene Informationskampagnen – die meisten in Bezug auf Corona – ausgegeben, und im Juli hat der deutsche Bundestag eine Förderung für Verlage in Höhe von 220 Millionen Euro beschlossen. Ist da eine objektive Berichterstattung noch möglich oder handelt es sich hier schlicht und einfach um
Medienkauf?
Bolz: Ich kenne die Verhältnisse in Österreich natürlich nicht so wie die in Deutschland, aber wir haben in Deutschland ein ganz ähnliches Phänomen, wo man als einfacher Bürger allmählich den Verdacht bekommt, dass die Politik die Medien von sich abhängig macht. Es gibt auch immer wieder Hinweise darauf, dass tatsächlich die Zeitungen zunehmend von staatlichen Inseraten abhängig werden, und das ist natürlich eine katastrophale Entwicklung. Eine Entwicklung, die aber auch sehr gut erklären könnte, zumindest in Deutschland, warum die Medien immer unkritischer gegenüber der Regierung werden, immer unkritischer gegenüber der offiziellen Mainstream-Politik und geradezu in eine Art Gefälligkeitshaltung gegenüber den regierenden Politikern geraten. Das ist eine wirklich sehr, sehr schlimme Entwicklung, und wir sind mehr und mehr als Bürger angewiesen auf alternative Informationsquellen. Da ist es ein Segen, dass es so etwas wie das Internet gibt, um sich ein Bild von der Welt unabhängig von der Regierungsperspektive machen zu können.

Wir haben es mit einem enormen intellektuellen und Meinungskonformismus unter den Journalisten zu tun.

Die Lage in Österreich ist nicht viel anders, die meisten Medien sind in Sachen Corona gegenüber der Bundesregierung sehr handzahm.
Bolz: Ich bemerke das auch aus der Ferne. In Deutschland ist es mittlerweile ganz extrem, ich lese noch die „Welt“, die NZZ aus der Schweiz. Es gibt noch ein paar Quellen, bei denen man das Gefühl hat, diese Leute denken selbst und sind nicht nur Befehlsempfänger. Aber die große Zahl der Zeitschriften und Zeitungen bei uns ist gewissermaßen wie in einer Angststarre vor der Frau Merkel, die es wirklich geschafft hat, sich die meisten Medien mehr oder minder gefügig zu machen. Von den Öffentlich-Rechtlichen ganz zu schweigen.

Sie haben vorhin die Inserate angesprochen, die immer wichtiger werden: Werden die Inserate vielleicht auch deshalb immer wichtiger, weil zahlreichende Medien sinkende Verkaufszahlen haben?
Bolz: Es ist vollkommen klar, dass es handfeste wirtschaftliche Gründe gibt. Die gesamten normalen Inserate schrumpfen zusammen, die Konkurrenz durch die sozialen Medien, die Internet-basierten Medien, wird immer stärker, immer weniger Leute, vor allem bei den jungen, kaufen Zeitungen und Zeitschriften – denen genügt völlig, was sie online finden. Dieser enorme wirtschaftliche Druck ist sicher wesentlich ausschlaggebend für diesen Konformismus der klassischen Massenmedien. Ein zweiter Faktor, den man natürlich auch nicht unterschlagen darf, ist die intellektuelle Sozialisation der meisten Journalisten, die schon alle von Kind auf im rot–grünen Mainstream schwimmen und im Grunde mehr oder minder identisch sind mit der Politik dieser Regierung. Wir haben es mit einem enormen intellektuellen Meinungskonformismus unter den Journalisten zu tun. Das kommt zu den wirtschaftlichen Abhängigkeiten noch
erschwerend hinzu.

Kann man es auch so formulieren, dass der Konformismus den Leser- und Seherschwund beflügelt, weil er einfach eine Ware produziert, die immer weniger Leute interessiert?
Bolz: Das wäre mir die sympathischste Interpretation, dass tatsächlich immer mehr Leute auch spüren, dass da tatsächlich nur Regierungspropaganda verbreitet wird statt unabhängige Information und kritische Meinungsbildung. Allerdings ist zumindest bei uns in Deutschland die Zustimmung zu den öffentlich-rechtlichen Medien immer noch sehr, sehr groß, und die kritische Abwendung der großen Öffentlichkeit von den klassischen Massenmedien und den regierungstreuen Pressestimmen kann ich noch nicht so richtig erkennen. Der Propaganda­apparat funktioniert noch immer ziemlich perfekt, und die meisten Menschen – zumindest hier in Deutschland – werden doch zugedeckt von der alltäglichen Regierungspropaganda, egal ob sie jetzt ARD oder ZDF sehen. Aber auch die Privatsender haben aus verschiedenen Gründen eine ganz ähnliche politische Meinungsbildung und sind sehr regierungsnah. Das ist eine ganz, ganz schlimme Situation: Die wenigen Gegenstimmen werden mittlerweile auch gerne mundtot gemacht. Es ist eine sehr kritische Situation, was Meinungsfreiheit, sagen wir ruhig bürgerliche Freiheit überhaupt, betrifft bei gleichzeitiger formaler Freiheit wie nie zuvor in unserer Geschichte. Das ist das Eigenartige bei der Sache.

Einen Begriff, den man immer öfter hört, ist der „Haltungsjournalismus“. Aber ist es nicht Aufgabe des Elternhauses, Anstand und Haltung zu lehren anstatt der Medien?
Bolz: Ich vermute, dass sich hinter dem Begriff „Haltungsjournalismus“ etwas viel Einfacheres versteckt. Also nicht die Tatsache, dass man als moralisches Wesen agiert – das ist die selbstverständliche Erwartung, die jeder Bürger an sich selbst und seinesgleichen hat –, sondern hinter dem Begriff Haltungsjournalismus verbirgt sich das, was der Fernsehmoderator Georg Restle einmal „werteorientierter Journalismus“ genannt hat. Und das heißt im Klartext, es geht gar nicht primär um Informationen, sondern es geht darum, den Menschen zu jedem Weltsachverhalt auch gleich die richtige Meinung mitzuteilen. Man will da nicht mehr unterscheiden zwischen Information und Meinung, sondern verlötet jede Information mit der passenden und in der Regel regierungsoffiziellen Meinung. Und das ist die weiteste Entfernung, die man sich von Aufklärung vorstellen kann.
Der Haltungsjournalismus ist schlicht das Gegenteil von Aufklärung. Das ist Indoktrination, und dass die Leute sich dabei auch noch gut fühlen, macht die Sache so fatal. Sie machen es mit bestem Wissen und Gewissen, aber was sie tun, hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Das sehen Sie auch daran, dass zunehmend die Journalisten – vor allem die jungen – dazu übergehen, das Objektivitätsideal des aufgeklärten Journalismus für überholt zu halten. Man geht davon aus, dass es so etwas gar nicht gibt, sondern dass man möglichst flächendeckend die richtige Meinung verbreitet.

Der Haltungsjournalismus ist schlicht das Gegenteil von Aufklärung.

Der „Haltungsjournalismus“ ist sicher wohl auch ein Biotop, in dem Fälle wie der „Spiegel“-Journalist Relotius, der Geschichten frei erfunden hat, besonders gut gedeihen können.
Bolz: Ich persönlich halte das Relotius-Problem gar nicht für das zentrale. Ich war auch immer der Meinung, dass der Begriff „Lügenpresse“ wenig sinnvoll ist. Es geht gar nicht darum, dass jemand etwas frei erfindet oder dass er lügt, sondern es geht tatsächlich darum, dass man zu bestimmten Themen nur noch eine Meinung zulässt und dass man alle anderen zum Schweigen bringt. Lügen haben kurze Beine – das hat man ja bei Relotius am Ende auch gemerkt –, die kann man entlarven. Aber diese Form der Propaganda, der wir seit einigen Jahren ausgesetzt sind, kann man nur schwer Paroli bieten, und es ist verdammt schwer, Kritik im klassischen Sinne zu
artikulieren.

Sie haben bereits die Bedeutung des Internets angesprochen. Glauben Sie, dass das Internet als Quelle anderer oder objektiver Informationen an Bedeutung gewinnen wird?
Bolz: Das Internet hat schon eine große Bedeutung und es wird sicher immer wichtiger werden, wobei ich das nicht identifiziere mit „objektive Information“. Im Internet gibt es unendlich viel Schwachsinn und Fake News, aber es gibt auch eine Fülle von wirklich alternativen Informationen und auch alternativen Meinungen. Und ich setze meine Hoffnungen nicht darauf, dass es irgendwo im Internet die wahre Quelle der richtigen Information in Zukunft geben wird, sondern dass die Menschen immer mehr lernen, skeptisch gegenüber den regierungsoffiziellen Meinungen zu sein, weil sie durch das Internet mit anderen Meinungen dann doch konfrontiert werden und dass sie dann lernen, an die Stelle von Objektivität die Konkurrenz unterschiedlicher Meinungen zu stellen. Wenn wir es dahin bringen würden, dass die Menschen merken, es gibt Alternativen zu einer bestimmten Politik, es gibt Alternativen zu vorherrschenden Meinungen, dann ist das der erste Schritt zur Selbständigkeit und zur Mündigkeit, nämlich sich selber wieder ein Bild von der Welt machen zu können.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

[Autor: Bild: PxHere Lizenz: –]

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“Medien werden immer unkritischer gegenüber der Regierung” 30. April 2021 - 5:03

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