“Post-Corona-Krisen werden FPÖ wieder ein Arbeitsfeld bringen”

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Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer­ (OGM) über die Wiener Wahl, die ­Gründe für den Absturz der Freiheitlichen und über Michael Ludwig, den neuen starken Mann in der SPÖ

Bei der Wien-Wahl fällt vor allem der Absturz der Freiheitlichen auf: Was sind die Gründe, haben sie vielleicht auf die falschen Themen gesetzt?
Wolfgang Bachmayer: Nein, die Ursachen liegen weiter zurück. Ich will nicht das altbekannte Ibiza-Thema strapazieren, aber das war im Prinzip die erste große Ursache. Wenige Monate später, vor der Nationalratswahl 2019, kam die in der freiheitlichen Wählerschaft – um ein Haider-Wort zu gebrauchen, bei den „kleinen Leuten“ – besonders schlecht angenommene Spesenaffäre. Sie hat in ihren negativen Auswirkungen in der freiheitlichen Wählerschaft die Ibiza-Affäre noch übertroffen. Und seitdem erleiden die Freiheitlichen eine Themenarmut, da ihnen ja ihr bisheriges Monopolthema Zuwanderung und Integration von der ÖVP weggenommen wurde, und die Türkisen seitdem alles tun, um die von den Freiheitlichen gewonnene Themenkompetenz weiterhin zu behalten und auszubauen.

Dr. Wolfgang Bachmayer ist Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts OGM. (Bild: Twitter “wbachmayer”

Die anderen Parteien waren für viele vormals freiheitliche Wähler offenbar keine Alternative, da die Zahl der Nichtwähler erheblich zugenommen hat.
Bachmayer: Die Verluste der FPÖ sind in deutlich größtem Ausmaß an die Nichtwähler gegangen. Das sind enttäuschte Wähler, die nicht gleich an andere Parteien verloren gegangen sind, sondern, wenn Sie so wollen, auf den Nichtwähler-Parkplatz gegangen sind. An zweiter Stelle liegen die Türkisen, und an dritter Stelle, mit Abstand, gingen auch Wähler an die Sozialdemokraten verloren, die sich insbesondere an Bürgermeister Ludwig orientiert haben.

Weil Sie gerade die Türkisen angesprochen haben: Die ÖVP lag in Wien vor einigen Wochen­ in Umfragen bei über 20 Prozent, letztendlich sind es etwas weniger als 20 Prozent geworden. Wachsen für die Türkisen jetzt die Bäume auch nicht in den Himmel?
Bachmayer: Das ist fast etwas übertrieben formuliert angesichts des Ergebnisses, da sie sich im Vergleich zur letzten Gemeinderatswahl 2015 verdoppelt haben. Es stimmt, in Umfragen lagen sie insbesondere zu Jahresbeginn über 20 Prozent, aber ich möchte erinnern, dass sie bei der Nationalratswahl 2019 im Bundesland Wien 24,5 Prozent der Stimmen erreicht haben. D.h., diese bei der Nationalratswahl auf Bundesebene erzielten Stimmen konnten die Türkisen nicht zu Gänze halten. Aber das Ergebnis von rund 19 Prozent ist immer noch ein bemerkenswerter Erfolg.

Die SPÖ ist klar stärkste Partei geblieben und hat auch leicht dazugewonnen. Was bedeutet das jetzt für die Sozialdemokratie insgesamt? Ist die Parteivorsitzende Rendi-Wagner – im letzten Jahr wurde ja immer wieder Kritik an ihrer Führungsrolle geäußert – nun innerparteilich gestärkt?
Bachmayer: Ja und nein zugleich. Ich glaube, dass Pamela Rendi-Wagner durch dieses Ergebnis insofern gestärkt ist, dass über ihre Parteivorsitzendenrolle so lange nicht mehr diskutiert wird und sie diese daher sicher innehat, solange Bürgermeister Ludwig sagt, das bleibt so und es wird hier nicht herumdiskutiert. Denn Bürgermeister Ludwig hat diesen Erfolg – er hat immerhin bei seinem ersten Antreten ein Plus erzielt, was Bürgermeister Häupl bei seinem ersten Antreten 1996 weit verfehlt hat – ein außerordentlich gutes Wahlergebnis erzielt. Er ist damit nicht nur der starke Mann der Sozialdemokraten in Wien, sondern er ist auch der starke Mann der Sozialdemokraten auf Bundesebene und wird daher in hohem Maße mitbestimmen, wenn nicht gar bestimmen, wer den Bundesparteivorsitz haben wird. Das wird dazu führen, dass Pamela Rendi-Wagner noch eine Weile Parteivorsitzende bleibt, so meine Vermutung, und erst zu einem gut durchdachten Zeitpunkt, vielleicht gar nicht so weit entfernt von der nächsten Nationalratswahl, dann jemand, der oder die auch in hohem Maße von Bürgermeister Ludwig mitbestimmt werden wird, als neues und frisches Gesicht für die nächste Nationalratswahl aufgebaut werden wird.

Rechnen Sie damit, dass die FPÖ nun ihren Kurs gegenüber der türkis-grünen Bundesregierung verschärfen wird?
Bachmayer: Beim Wien-Wahlkampf ist mir aufgefallen, dass neben den bisherigen, noch immer getrommelten Themen Zuwanderung und Migration jetzt das Thema Corona-Unzufriedenheit hinzugefügt wurde. Also man hat die gar nicht so geringe Gruppe der Corona-Frustrierten und auch der Impfgegner angesprochen, was in Zeiten wie diesen sicher Chancen gebracht hätte. Die Frage ist, ob das ein haltbares Thema bleiben wird. Das hängt damit zusammen, wie lange das Coronavirus bleibt. Aber wenn Corona zurückgeht und dann die nächste große Krise, die Arbeitsmarktkrise ausbricht, hat die Freiheitliche Partei damit eigentlich wieder ein Aktions- und Themenfeld, das sie beackern wird, und der erste Gegner wird sicherlich die Bundesregierung sein.
Warten wir einmal ab, was die Koalitionsverhandlungen in Wien bringen, denn auch die haben Auswirkungen auf die Bundesebene. Aber unabhängig davon werden die Freiheitlichen eine harte Oppositionsrolle fahren müssen. Nächstes Jahr findet die Landtagwahl in Oberösterreich statt, und diese Wahl ist für die FPÖ ganz, ganz wichtig, weil sie dort ein ähnlich gutes Ergebnis zu verteidigen hat wie in Wien. Die Situation dort ist aber nicht so dramatisch wie in Wien, nicht zuletzt, weil HC Strache in Wien nicht in den Gemeinderat
eingezogen ist.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

[Autor: Bild: Wikipedia/Christian Michelides Lizenz: CC BY-SA 4.0]

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