Ukraine: Mangelnde Disziplin in der Selenski-Armee

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Ministry of Defense of Ukraine Lizenz: CC BY-SA 2.0


Ein von Kiew angestrebter Siegfrieden rückt damit in weite Ferne

Sie wissen es eh: In jeder Armee der Welt wird Fahnenflucht (Desertion), konkret: das Im-Stich-lassen der Kameraden, vom Kriegsgericht bestraft. Da nützt keine Ausrede wie zum Beispiel Ich will nicht in einem ungerechten Krieg kämpfen. Nein, denn im Krieg kommt es auf Disziplin, Einsatzbereitschaft  und Gehorsam an. Die subjektive Einschätzung durch den einzelnen Soldaten hat da in den Hintergrund zu treten.

Ein denkbar schlechtes Omen für eine kämpfende Armee ist es, wenn die Strafe für Fahnenflucht plötzlich empfindlich verschärft wird. Der Grund dafür kann nur sein: Die Truppe zeigt Auflösungstendenzen, die Moral der Soldaten sinkt, es häufen sich Fälle wie etwa das unerlaubte Entfernen von der Truppe sowie das Überlaufen zum Feind, weil die Soldaten den Kampf als aussichtslos betrachten.

Soweit die grundsätzlichen Überlegungen. Nun zum konkreten Fall: Der ukrainische Generalstab sorgt sich um die Moral der Truppe. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Volksvertretung in Kiew vor Weihnachten im Schnellverfahren ein von der Militärführung gefordertes Gesetz verabschiedet, das die Möglichkeiten zur Bestrafung undisziplinierter Soldaten drastisch erweitert. Strafen auf Bewährungen seien in Zukunft nicht mehr möglich.

Die Verschärfungen des Gesetzes No. 8.271 sehen vor, dass Kämpfer, die die Befehle ihrer Vorgesetzten missachten, indem sie ihre Einheit oder die Stellung an der Front unerlaubt verlassen, zwischen drei und neun Jahre ins Gefängnis müssen. Bisher waren weit mildere Strafen vorgesehen, die überdies zumeist auf Bewährung ausgesprochen worden sind. Ab jetzt werden andere Saiten aufgezogen. Eine neue Bestimmung ahndet Desertion während eines Feuergefechts mit bis zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe.

Generalstabschef Waleri Saluschni, der die Verabschiedung des neuen Gesetzes betrieben hat, beklagt die fatalen Folgen eines Rückzugs ohne Genehmigung der militärischen Vorgesetzten. Dies sei in der umkämpften Stadt Bachmut wiederholt vorgekommen. In der Folge seien die verlorenen Positionen nur durch Sturmangriffe mit hohem Blutzoll zurückerobert worden.

Disziplinäre Schwierigkeiten ergeben sich vor allem dadurch, dass ukrainische Soldaten, die sich freiwillig zum Fronteinsatz melden, wesentlich diskussionsfreudiger sind als Kommandanten, die ihre Ausbildung noch in der Sowjetarmee erhalten haben und auf striktem Gehorsam bestehen; Diskussionen oder gar Abstimmungen, ob man angreifen solle oder nicht, sind solchen Offizieren naturgemäß ein Gräuel.

Das Gesetz 8.271 kann erst nach Gegenzeichnung durch Präsident Wolodymyr Selenski in Kraft treten. Der aber zögert, denn der Mann in seinem olivgrünen Ruderleiberl steht vor einem Dilemma: Mit einer Unterzeichnung bringt er möglicherweise den motiviertesten Teil der Truppen, namentlich die Freiwilligen, gegen sich auf, mit einem Veto aber die ganze Armeeführung.

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