„Wir haben zum Glück keine ­italienischen Zustände“

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Jurist Peter Krüger über das Vertrauen in die Justiz, das Verhältnis der Politik zur Justiz, lange Verfahrensdauern und darüber, warum ein Bundesstaatsanwalt keine Lösung ist

Laut einer aktuellen Eurobarometer-Umfrage haben 86 Prozent der Österreicher Vertrauen in die Justiz, womit unser Land gemeinsam mit Dänemark im EU-Vergleich an der Spitze liegt. Sind Vorkommisse­ wie die Sicherstellung des Mobiltelefons von Christian Pilnacek, dem mittlerweile suspendierten Sektionschef im Justizministerium, geeignet, das Vertrauen der Österreicher in die Justiz zu erschüttern?
Peter Krüger: Ich glaube nicht, dass die Affäre Pilnacek das Vertrauen in die Justiz beschädigen wird, weil Pilnacek eher dem Ministerium und der Verwaltung zugerechnet wird – was rechtlich im Übrigen auch stimmt – und nicht der unabhängigen Gerichtsbarkeit. Das Vertrauen bezieht sich ja auf die un­abhängige Gerichtsbarkeit.

Dr. Peter Krüger ist juristisch in einer Anwaltskanzlei tätig.

Könnte man die Causa Pilnacek und auch die Hausdurchsuchung bei Finanzminister Blümel nicht auch so betrachten, dass das zeigt, dass die Justiz in Österreich unabhängig arbeitet und ohne Ansehen der Person vorgeht?
Krüger: Ja, das bestärkt meine Einschätzung.

Es gab vor wenigen Wochen eine Debatte über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, wo die ÖVP den Vorstoß gemacht hat, die WKStA aufzusplittern. Inwiefern besteht die Gefahr, dass die Justiz in den Zugriff der Politik gerät?
Krüger: Ganz offensichtlich will man eine unliebsame staatsanwaltliche Stelle abmontieren. Das ist natürlich ein direkter Eingriff in die Strafverfolgung, der für mich überhaupt nicht geht.
Hier will man zeigen, was mit jemandem geschieht, der unbotmäßig ist.

Besteht nicht generell die Gefahr, dass die Justiz zur Zielscheibe der Politik wird? Weil mit entsprechenden Änderungen, etwa im Strafrecht oder im Familienrecht, kann man ja auch entsprechende gesellschafts­politische Zielsetzungen verwirklichen.
Krüger: Wir sprechen bei der Affäre Pilnacek und bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft von der Vollziehung der Gesetze und nicht so sehr von der Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Natürlich wird Gesellschaftspolitik auch über das Strafrecht und selbstverständlich auch übers Familienrecht gemacht, aber direkter parteipolitischer Einfluss wird hauptsächlich über die Justizverwaltung ausgeübt.

Immer wieder gibt es Urteile, die für wenig Verständnis sorgen, beispielsweise niedrige Haftstrafen für Sexualstraftäter, insbesondere dann, wenn sie sich an Kindern vergriffen haben. Wie sehen Sie das? Arbeitet die Justiz ordentlich oder gibt es Fehlurteile?
Krüger: Ich glaube, dass die Justiz im Großen und Ganzen ordentlich, verlässlich und gut arbeitet. Vor Fehlurteilen ist niemand gefeit, aber allein die Einrichtung mehrerer Instanzen zeigt, dass man mit Fehlbeurteilungen rechnet. Wenn die Strafen als zu milde empfunden werden, darf man nicht der Justiz oder dem einzelnen Richter Fehler vorwerfen, sondern man muss die Gesetzgebung entsprechend anpassen.

Gibt es Bereiche, wo Sie Verbesserungsbedarf sehen? Gerade im Zivilrechtsbereich wird ja immer wieder die lange Verfahrensdauer beklagt.
Krüger: Zweifellos! Die Rechtsprechung ist unzulänglich mit moderner Technik und mit ausreichend Personal ausgestattet. Wenn man hier Maßnahmen ergriffe, könnte die Justiz besser arbeiten.

Im Bundesstaatsanwalt sehe ich in erster Linie einen Plan zur Verminderung der Ministerverantwortlichkeit.

Wenn Verfahren jahrelang, manchmal bis zu zehn Jahre dauern, wird ja der Zugang zum Recht erschwert, wenn nicht sogar
verunmöglicht.
Krüger: Das wäre der Fall. Allerdings sind zivilrechtliche Verfahren, die zehn Jahre dauern, erstens sehr ungewöhnlich und zweitens meist unter starker Beteiligung der Parteien so verzögert. Wir haben zum Glück keine italienischen Zustände. Und im Strafrecht ist es zum Glück auch die Ausnahme. Fast alle Strafverfahren laufen sehr schnell ab. Jeder denkt jetzt natürlich an das ewig dauernde Grasser-Verfahren. Das hat aber auch damit zu tun, dass der Beschuldigte hier alle rechtlichen Mittel ergreift, was auch zur Verfahrensverzögerung führt. Und ein langes Verfahren wird dann auch in der Urteilsfindung als Milderungsgrund berücksichtigt.

Um jetzt noch einmal zum Strafrecht zurück zu kommen: Es gibt die Debatte eines Bundesstaatsanwalts nach deutschem Vorbild, der das bisherige Weisungssystem im Justizministerium ersetzen soll. Wie sehen Sie diese Sache?
Krüger: Ein Bundesstaatsanwalt hätte natürlich genauso das Weisungsrecht und in seiner Überwachungsaufgabe auch die Weisungspflicht, wie dies der Minister hat. Aus diesem Grund sehe ich diesen Plan in erster Linie als ein Vorhaben, das die Ministerverantwortlichkeit vermindern soll. Und ich fürchte, dass politischer Einfluss genauso ausgeübt wird, aber weniger an der Wahlurne bestraft oder belohnt werden kann. Ich fürchte, dass hier die Transparenz abnimmt statt zunimmt.

Dann wäre es also besser, beim bisherigen System zu bleiben?
Krüger: Es ist das bisherige System verbesserungswürdig, die Transparenz der Weisungen müsste noch mehr verstärkt werden. Auch die indirekte Weisung über die Erwartung eines Ministers müsste Berücksichtigung finden können, indem beispielsweise Staatsanwälte solche versuchten oder befürchteten Einflussnahmen in Verfahren zumindest gegenüber ihren Vorgesetzten offenlegen können.

Das Gespräch führte Bernhard Tomaschitz.

[Autor: Bild: PxHere Lizenz: –]

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