„Aufschwung ist nur eine ­kalendarische Frage“

by admin2

Christian Helmenstein, Chefökonom der Industriellenvereinigung, über die ­Coronakrise, die wirtschaftlichen Aussichten und die Politik der Bundesregierung

Das Jahr 2020 ist abgelaufen, war das aus Sicht der Industrie auch so ein Horrorjahr wie für die meisten Österreicher?
Christian Helmenstein: Es hat in der Industrie „Licht und Schatten“ gegeben. Es ist nicht ganz damit zu vergleichen, was die Industrie seit Jahrzehnten gewohnt ist, an Krisen zu bewältigen. Normalerweise importieren wir Großkrisen nach Österreich von den internationalen Märkten. Denken Sie nur an die Lehman-Krise, die Russland-Insolvenz oder schon vorher die Ölkrise. All das hat natürlich unsere exportorientierte Wirtschaft getroffen. Damit hat man aber auch notgedrungen ein erhebliches „know how“ zur Bewältigung solcher Krisen zusammengetragen. Außerdem haben wir schon aufgrund der Betriebsgrößen die Möglichkeit der Spezialisierung. Mit Ausnahme der Tourismuswirtschaft waren wir in früheren Zeiten nicht von echten Rezensionen betroffen. Das ist jetzt anders.

Dr. Christian Helmenstein ist Chefökonomder Industriiellenvereinigung (IV) (Bild: iv.at/Kurt Prinz)

Und wie sieht es auf der Schattenseite aus?
Helmenstein: Auf der Schattenseite ist zu vermerken, dass wir auf vielen internationalen Märkten feststellen mussten, dass diese zum Großteil für den Personenverkehr nicht erreichbar sind, auch nicht für die Verkaufs- oder Monteurteams. Das ist in der weltweit vernetzten Wirtschaft ein herber Rückschlag, so etwas haben wir noch nicht erlebt. Wir sind zurückgeworfen worden, was die physische Erreichbarkeit betrifft, in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Dagegen steht, dass wir einen Teil davon über Videokonferenzen kompensieren konnten.

Geld spielt für die Regierung offensichtlich keine Rolle mehr. Die Vermehrung der Geldmenge und auch die Verschuldung im österreichischen Staatsbudget zählen ganz offenbar nicht mehr. Wie sollen wir in der Zukunft damit umgehen?
Helmenstein: Ihre Formulierung war eine nichtökonomische und kann sich nur auf eine kurzfristige Stabilisierung in einem Politikmoment bezogen haben. Sie kann nur eine Leitlinie darstellen für eine „Post-Covid-Investitionsstrategie“ oder eine „Post-Covid-Budgetgestion“. Wir werden jetzt eine Verschuldung erleben, die ungefähr bei 85 Prozent des BIP liegen wird, bei der OECD werden wir sogar über die 90 %-Schwelle gelangen. Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir uns von unten der 90 %-Marke annähern, diese aber nicht überschreiten werden. Das heißt wir müssen überlegen, wie wir von diesem hohen Staatsschuldenzuwachs wieder herunterkommen. Das schon deswegen, damit wir bei künftigen Krisen, und derzeit scheinen alle paar Jahre immer wieder ein paar zu kommen, wieder Handlungsspielraum haben. Man konnte ja bereits jetzt an der Covid-Krise erkennen, dass Länder wie Deutschland oder Österreich besser aufgestellt waren als andere Staaten, beispielsweise Italien oder Spanien, gar nicht zu sprechen von Griechenland. Im Moment haben wir in Österreich und Deutschland von den Prä-Covid-Stabilisierungsmaßnahmen profitiert.

Durch die Staatsverschuldung werden ja künftige Generationen belastet. Es wird wohl mehr Steuern geben oder weniger Leistungen des Staates. Was kommt da auf uns zu?
Helmenstein: Das wird die Kunst einer klugen Budgetpolitik sein. Wir werden wohl auf Steuererhöhungen verzichten, weil dadurch die Investitionsbereitschaft beeinträchtig und die Konsumbereitschaft gedämpft wird. Wir würden, Sie sagen es, uns an die Leistungen halten. Der Königsweg wäre es, die Leistungszuwächse des Staates zu streichen, damit könnten die Einnahmen schneller wachsen als die Ausgaben.

Schneller wachsende Einnahmen bedürften aber eines wachsenden BIPs, damit werden wir aber wohl gar nicht rechnen können?
Helmenstein: Doch, wir werden ein wachsendes Inlandsprodukt haben, Und damit wird es gleich drei Kanäle geben, wie wir zu steigenden Staatseinnahmen kommen. Da gibt es einmal ein reales Wirtschaftswachstum, das umso größer sein wird, je früher wir die Covid- Pandemie überwunden haben werden, ich rechne da mit 5 Prozent. Dann haben wir die Inflation, die in Österreich leider höher ist als im europäischen Durchschnitt. Die Steuereinnahmen sind natürlich nominell und nicht real, das heißt aus beiden Komponenten generieren wir höhere Steuereinnahmen. Und drittens wirkt auch noch die Progression. Nicht nur die „kalte“, sondern auch die „reale“. Mit höherem Einkommen wachsen die Leute auch in höhere Steuerklassen. All das bewirkt, dass wir steigende Steuereinnahmen haben werden.

Wenn Sie die Inflation ansprechen, so besteht in der Bevölkerung ja die Befürchtung, dass durch enorm angewachsene Geldmenge auch die Inflation in großem Ausmaß zunehmen wird. Müssen wir damit rechnen?
Helmenstein: Ja, wir müssen uns darauf einstellen, dass wir im Jahr 2021 etwas höhere Inflationsraten haben werden …

… in welcher Größenordnung Ihrer Meinung nach?
Helmenstein: Wir werden über die 2-Prozentmarke hinauskommen, in einzelnen Monaten könnte das auch an die
3 Prozent heranreichen. Dazu kommt die starke Position des Euro zum Dollar, das hat auch dazu geführt, dass das Tanken im Augenblick recht günstig ist. Wenn dieser Effekt dann nach einem Jahr weg ist, kommt es automatisch zu einem Anstieg der gemessenen Inflationsrate, auch wenn sich materiell nichts geändert hat.

Ja, aber 2 oder 3 Prozent Inflation ist ja gar nichts im Verhältnis zu der Kroneninflation in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Müssen wir jetzt bei der stark vermehrten Geldmenge des Euro nicht auch mit einer derartigen Hyperinflation rechnen?
Helmenstein: Nein! Das hat damit zu tun, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes entsprechend verringert hat. Das heißt, dass diese Geldmenge im Moment nicht nachfragewirksam ist. Inflation ist dann zu befürchten, wenn das Angebot entsprechend zurückgeht, oder wenn die Nachfrage geldmengenbedingt ansteigt und das Angebot konstant bleibt. Oder aber dass administrative Preise festgelegt werden. Wir stehen jetzt bei keinem dieser drei Kanäle. Was die meisten Menschen beunruhigt, ist, dass es über den zweiten Kanal, der erhöhten Nachfrage bei konstantem Angebot, zur Inflation kommt. Dazu ist zu sagen, dass wir ungenützte Kapazitäten haben, und zwar weltweit gesehen. Das heißt, die erhöhte Nachfrage, mit der nach Corona zu rechnen sein wird, würde zuerst einmal durch eine bessere Auslastung vorhandener Kapazitäten erfolgen. Das Zweite, was man in diesem Zusammenhang sagen muss, ist, dass es die Nachfragesteigerung in erster Linie im Bereich der Kapitalmärkte geben wird als im Bereich der Gütermärkte. Schauen wir uns nur einmal die Preisentwicklung bei den Immobilien an oder die Aktienmärkte, die Höchststände ausweisen.

Wenn wir uns die Betriebsschließungen anschauen, hat das ja auch einen starken Einfluss auf die Arbeitslosigkeit. Diese wird ja im Augenblick durch die Kurzarbeitsregelung geschönt. In welche Richtung bewegen wir uns hier?
Helmenstein: Diesbezüglich habe ich in letzter Zeit eine Äquivalenzberechnung angestellt und habe dabei herausgearbeitet, dass wir in der Spitze eine Äquivalenz von 800.000 fehlenden Arbeitsplätzen haben werden. Dabei werden sich die offiziell ausgewiesenen verlorenen Arbeitsplätze in Richtung der 600.000 bewegen. Dazu kommen aber noch die Kurzzeitregelungen und andere stabilisierende Maßnahmen, In Summe werden es dann rund 800.000 sein.

Ist dieser Verlust von 800.000 noch auffangbar, und was wird das Jahr 2021 dazu beitragen?
Helmenstein: Das ist die eigentliche Herausforderung. Die Arbeitsmarktvariable ist nämlich eine zeitverzögerte. Das heißt, zuerst kommt das Wachstum, und dann zieht mit einer gewissen Zeitverzögerung der Arbeitsmarkt nach. Diese Zeit muss genutzt werden, um die Arbeitskräfte neu zu qualifizieren. Es ist wichtig, dass Menschen, die bereits gearbeitet haben, neue Arbeit dort finden, wo wir sie haben. Wenn zum Beispiel der Digitalisierungsbereich wächst, dann muss ich dort für Nachschub sorgen, der entsprechend qualifiziert ist.

Wenn Sie einen Ausblick auf das Jahr 2021 wagen, ist der von Optimismus geprägt oder müssen wir uns noch gedulden und hoffen, dass die Regierung stabilisierende Maßnahmen setzt?
Helmenstein: Grundsätzlich von beiden etwas. Wir werden uns natürlich noch gedulden müssen, ich bin aber vom Tenor her sehr optimistisch. Wir kommen nicht nur aus der tiefsten Rezession seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, es gibt auch noch fünf Sondereffekte, die bei einem normalen Aufschwung so nicht gegeben sind. Wir haben zum Beispiel die Situation des Zwangssparens, weil die Läden geschlossen sind. Das heißt, es kann jetzt nicht konsumiert werden, obwohl die Verbraucher dazu bereit wären, das hat zwangsläufig zu einem Rückstau geführt, der 2021 aufgelöst wird. Das zweite ist die Investitionsprämie. Sie halte ich neben der Kurzarbeit für die effektivste Maßnahme im Rahmen des Covid-19 Stabilisierungspaketes. Damit wissen wir bereits, dass wir in diesem und im nächsten Jahr 20 Milliarden Euro Investitionsvolumen erwarten können. Das wird einen beachtlichen Impuls in Österreich auslösen. Drittens wird die heuer sehr eingeschränkte Exportwirtschaft wieder anlaufen, wenn die eingangs angesprochene mangelnde Erreichbarkeit sich wieder auflöst wurde. Das haben wir nach einer normalen Rezession so nicht gesehen. Ein weiterer positiver Effekt ist in der Bevölkerung zu erwarten, wenn die Durchimpfungsquote ansteigt. Fünftens können wir mit einem deutlich niedrigeren Ausmaß an wirtschaftlicher Unsicherheit rechnen. Es lässt sich bereits jetzt sehr schön beobachten, dass sich die Diskussion um den Brexit praktisch vollständig verflüchtigt hat. Es sind endlich sichere Rahmenbedingungen geschaffen worden, und die Wirtschaft ist weder auf der einen noch auf der anderen Seite des Ärmelkanals zusammengebrochen. Damit ist wieder Planbarkeit gegeben. Und das gleiche gilt übrigens auch künftig für die Vereinigten Staaten. Diese Faktoren lassen mich sehr optimistisch sein, was 2021 anbelangt. Was offen ist, ist die Frage, wann wir ohne regulatorische Maßnahmen auskommen werden. Wir sind in unseren Berechnungen vom Juni dieses Jahrs ausgegangen. Das ist eine kalendarische Frage und nicht eine grundsätzliche, ob uns ein Aufschwung bevorsteht.

Das Gespräch führte Walter Tributsch

[Autor: Bild: PxHere Lizenz: –]

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