Ein kultivierter Linker, welcher der Intoleranz im Gewande der Antifa entgegentritt

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Oskar Lafontaine ist zum Elder Statesman gereift

Um Oskar Lafontaine ist es in den letzten Jahren still geworden. Vergessen ist seine Krebserkrankung, die er Gott sei Dank überwunden hat. Gerne erinnert man sich an die Eheschließung mit der linken Ikone Sahra Wagenknecht. 1990 ist der nunmehr 77-Jährige Spitzenkandidat der SPD bei der Bundestagswahl, 2005 verlässt er die Sozialdemokratische Partei, wechselt zur SED-Nachfolgeformation „Die Linke“. Seit 2009 ist Lafontaine Fraktionschef der Linkspartei im Landtag des Saarlandes, ein Ländchen, das er lange Jahre hindurch als SPD-Ministerpräsident regiert.

Nun gibt der menschlich und politisch gereifte Politiker der renommierten „Neuen Zürcher Zeitung“ ein Interview (NZZ 12. Oktober 2020, Seite 3) unter dem Titel Wir haben es mit einer Identitätspolitik zu tun, die autoritäre Züge annimmt, in dessen Rahmen er bemerkenswerte Aussagen tätigt.

Nebenbei: Auch Ehefrau Sahra nimmt sich kein Blatt vor den Mund, weicht beträchtlich von der Linie der Linkspartei ab, wenn sie beispielsweise in der Frage der Einwanderungspolitik gegen die Forderung vieler Mitglieder der Linkspartei nach offenen Grenzen auftritt. Dies nutze, so Wagenknecht, bloß den Eliten in den Industrieländern, die durch eine dadurch zunehmende Arbeitsmigration von Dumpinglöhnen profitierten. Eine große Mehrheit würde daraus keinen Nutzen ziehen und sollte vor derartigen Niedriglöhnen geschützt werden. Auch den Ländern, in denen es zu Abwanderung kommt, würde dies schaden, denn es seien meist Menschen mit besserer Ausbildung aus der Mittelschicht, die abwandern.

Welche Standpunkte vertritt Oskar Lafontaine? Unlängst spricht er davon, ein unbegleitetes Flüchtlingskind koste dem Staat 5.000 Euro im Monat; einer Mindestrentnerin könne man das schwer plausibel machen. Daraufhin fordern viele Linkspartei-Aktivisten seinen Parteiausschluss. Lafontaine dazu wörtlich im Gespräch mit der NZZ: Wir haben es heute mit der sogenannten Identitätspolitik zu tun, die autoritäre Züge annimmt. Man will anderen vorschreiben, was sie zu sagen und zu denken haben. Das lehne ich ebenso ab wie das „Cancel Culture“, nach der Leute ausgeladen werden müssen, die sich „unkorrekt“ ausgedrückt haben. Eine derartige Haltung sei in vielen linken Parteien auf der Welt verbreitet.

Auf die Frage, ob er weiterhin klassischer Materialist bleibe, während für junge Linke eher die Frage des Gendersternchen Bedeutung habe: Ich bleibe dabei, dass es in erster Linie Aufgabe der linken Parteien sein muss, die Arbeitnehmer zu vertreten und die ungerechte Verteilung zu bekämpfen.

Zum Thema der Aufnahme von Flüchtlingskindern aus dem von Migranten abgefackelten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos hat Lafontaine eine dezidierte Auffassung: Es ist notwendig, sofort zu helfen. Aber eben allen. Mit den Milliarden, die Deutschland bereitstellt, können wir das Leben von Millionen in den Flüchtlingslagern und in den armen Herkunftsländern verbessern. Anders gewendet bedeutet das für Lafontaine: Keine Selektion durch Aufnahme einer bestimmten Zahl von Kindern und deren Transfer nach Deutschland.

Auch das Argument, man dürfe Rechten keine Bühne bieten, verfängt beim Linkspartei-Politiker nicht. Auf die Frage „In München traten Sie zusammen mit Thilo Sarrazin auf, den viele Linke für einen Rassisten halten. Reden Sie auch mit AfD-Politikern?“ antwortet er: Demokratie lebt vom Dialog. Ich halte nichts davon, Diskussionen mit AfD-Politikern zu verweigern. Auch im Bundestag, in den Landtagen und in Talkshows diskutieren wir mit ihnen.

Insgesamt betrachtet vertritt Oskar Lafontaine zwar weit linke, aber erfrischend tolerante Ansichten. Noch eins: Wie man aus dem Wortlaut seiner Antworten ersehen kann, verweigert er sich auch dem sogenannten Gendersprech.

[Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Sandro Halank, Wikimedia Commons Lizenz: CC BY-SA 3.0]

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