Frankreichs Feuilleton im Aufruhr

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Autor: E.K.-L. Bild: Wikipedia/Fronteiras do Pensamento Lizenz: CC BY-SA 2.0


Ein neuer Roman von Michel Houellebecq

Satte 545 Romane erscheinen in diesen Tagen in Frankreich, aber geredet wird nur von einem. Michel Houellebecqs 736-Seiten-Wälze Anéantir (ISBN 978 2 080 271 532), der am Freitag, dem 7. Jänner, erschienen ist, verdrängt alle anderen. Eine deutsche Ausgabe gelangt in der zweiten Jänner-Woche unter dem Titel Vernichten in den Handel. Wie immer bei Michel Houellebecq kommt es schon lange vor dem Erscheinen seines neuen Romans zu großer Erregung im Feuilleton.

Die Nervosität ist groß, sobald ein neuer Roman – der jetzige ist der achte des Schriftstellers – von Michel Houellebecq erscheint. Der Grund: Oft korrelieren seine Veröffentlichungen mit tatsächlichen Schock-Ereignissen, die geradezu gespenstisch in Verbindung mit den jeweiligen Büchern zu stehen scheinen. Allgemein bekannt ist der islamistische Anschlag auf das Satiremagazin Charlie  Hebdo am Erscheinungstag von Houellebecqs Buch  Soumission (dt. Unterwerfung). Bisher ist eine ungewöhnliche Begebenheit ausgeblieben.

PR-mäßig gehen Schriftsteller wie auch Verlag professionell vor: Houellebecq kündigt zunächst an, kein einziges Interview geben zu wollen, dann erscheint am 30. Dezember doch ein langes Gespräch mit ihm in der Zeitung Le Monde. Der Pariser Verlag Flammarion ist mit 600 Vorab-Exemplaren an ausgewählte Literaturkritiker sehr großzügig. Kein Wunder bei einer Startauflage von 300.000 Stück. Nebenbei: Raubkopien kursieren bereits vor Weihnachten im Netz.

Houellebecqs Roman  Anéantir spielt im Jahr 2027 nach der zweiten Amtszeit eines unschwer als Emmanuel Macron zu identifizierenden Präsidenten, der kein drittes Mal antreten darf. Sein vom Establishment unterstützter Nachfolger schreibt sich Bruno Juge, den man mühelos als den heutigen Wirtschaftsminister Bruno Le Maire identifizieren kann. Seine Mitbewerberin heißt – Marine Le Pen.

Der Titel weckt starke Erwartungen, doch das Werk enthält keine explizit islamkritischen Passagen und bloß eine einzige Sexszene. Der Roman dreht sich vielmehr um eine Familiengeschichte mit zwei Brüdern und einer Schwester, einen Vater im Wachkoma und viele Geliebte drumherum. Im Vordergrund steht die Geschichte des 47-jährigen Staatsbeamten Paul Raison und seiner ihm sexuell entfremdeten Frau Prudence, beide treue Wähler von Marine Le Pen. Alles vor dem Hintergrund einer Bedrohungskulisse mit Hacker-Terror, Klimawandel, Euthanasie und – für einen lendenstarken Gallier das Ärgste überhaupt – Asexualität.

Valérie Trierweiler, die seinerzeitige Geliebte des Präsidenten François Hollande, präsentiert auf Instagram das Buchcover vor einem Flammendekor, gepaart mit dem Hinweis: 730 Seiten am Kaminfeuer. Danke  Flammarion. Tja, der Satz gibt Rätsel auf: Ist Madame Trierweiler vom Inhalt des Romans vor Begeisterung entflammt oder bereitet sie eine häusliche Bücherverbrennung vor? Den renommierten Verlag wird die etwas zweideutige Aussage gewiss freuen.

Eines ist sicher: In der Bundesrepublik und auch hierzulande warten schon viele auf die in wenigen Tagen herauskommende deutsche Übersetzung von Michel Houellebecqs neuem Werk.

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