Indien: Heilige Kühe als Wahlkampfthema

by admin2

Autor: E.K.-L. Bild: Adam Hill auf Pixabay Lizenz: –


Zur Lage der kleinen Bauern in der Provinz Uttar Pradesh

Indien hat derzeit rund 1,38 Milliarden (!) Einwohner, liegt damit knapp hinter Rotchina. Von den 28 Provinzen ist das östlich von Neu-Delhi gelegene, ländlich geprägte Uttar Pradesh eine der größten, was die Zahl der Bürger anlangt: Auf der dreifachen Fläche Österreichs drängen sich knapp zweihundert Millionen Seelen. Ein gutes Drittel davon lebt unter der Armutsgrenze. Es handelt sich um Kleinstbauern – oft sogenannte Dalits, also Kastenlose, auch Parias, Unreine oder Unberührbare genannt – mit jeweils minimaler Ackerfläche sowie mit ein paar Tieren.

In Uttar Pradesh findet in diesen Tagen die Wahl zum Landtag statt, konkret zwischen 10. Februar und 7. März. Bisher hält die auch auf nationaler Ebene regierende BJP (Bharatiya Janata Party, dt. Indische Volkspartei) des Ministerpräsidenten Narendra Modi im Provinzparlament 312 von insgesamt 409 Sitzen. Obwohl die BJP bei der letzten Landtagswahl 2017 bloß 39,67 % der Stimmen erhalten hat. Es ist dies die Folge des in Indien geltenden Mehrheitswahlrechts – wenn man so will, ein Erbe der englischen Kolonialherren.

Im Wahlkampf dominiert ein Thema, nämlich die Kühe. Bekanntlich gilt den Hindus seit jeher die Kuh als heilig. Bereits in den Vedas, den ältesten Schriften des Hinduismus (verfasst vor mehr als ein Jahrtausend vor Christi Geburt), wird sie als Mutter und als heilig verehrt. Wobei im hinduistischen Glauben die Grenze zwischen Mensch und Tier nicht absolut ist, bedingt durch den Reinkarnationsgedanken, der auch die Möglichkeit einer Seelenwanderung zwischen den Arten enthält.

Die indische Bundesverfassung untersagt das Schlachten von Kühen, selbst ihr Verkauf bedarf einer behördlichen Zustimmung. Freilich hält man in der Vergangenheit diese Rechtsvorschriften weniger genau ein: Betagte Kühe, die keine Milch mehr gaben, veräußert der Bauer diskret an einen Händler, der liefert dann die Tiere unauffällig im Schlachthof ab. Händler wie Schlächter sind fast immer Mohammedaner oder die oben erwähnten Unberührbaren.

In den letzten Jahren zog die BJP-Regierung auf Bundes- wie auch auf Landesebene die Zügel straff an. Dazu muss man wissen: Die entscheidende Kraft innerhalb der hinduistischen Mehrheitsbevölkerung heißt RSS (Rashtriya Swayamsevak Sangh; dt. Nationale Freiwilligen-Organisation). Sie besteht seit fast einhundert Jahren, ihr Ziel ist ein hinduistisches Indien möglichst ohne Muslime und Christen. Ein Anliegen, das sie manchmal mit Gewalt durchzusetzen versucht. So tötet ein RSS-Aktivist 1948 Mahatma Gandhi, weil der zu wenig energisch gegen die Moslems auftritt.

Politischer Arm der RSS ist die regierende Indische Volkspartei, auch Premier Modi ist RSS-Mitglied. Auf der Ebene der Religion bemüht sich der sogenannte Welt-Hindu-Rat (Vishva Hindu Parishad; VHP) die Interessen der RSS durchzusetzen. Und dazu gehört in erster Linie der Schutz der Kühe.

Für die bitterarmen Bauern stellt sich die Lage freilich anders dar. Einerseits können sie alte Kühe nicht verkaufen, weil Banden junger, beschäftigungsloser Männer – sie nennen sich Kuh-Rächer – auf den Straßen die Lastwagen kontrollieren. Falls die da Kühe im Laderaum finden, verprügeln sie Lenker und Beifahrer, selbst Fälle der Lynchjustiz kommen vor. Andererseits verfügen die Kleinbauern kaum über die Mittel, um alte Kühe durchzufüttern. Daher greifen sie zu einer Art Notwehr – sie vertreiben die wertlos gewordenen Tiere kurzerhand vom Hof.

Die Folge sind Millionen streunender Straßenkühe, die fressen, was ihnen zwischen die Zähne kommt. Viele Bauern bewachen nachts ihr Feld, um die Ernte vor herrenlosen Kühen zu schützen. Allein in Uttar Pradesh gibt es 1,2 Millionen Straßenkühe. Die Provinzregierung schuf in den vergangenen Jahren sogenannte Goshalas (Kuhheime), heute existieren 570 solcher Gnadenhöfe mit jeweils mehreren hundert Tieren.

Landeshauptmann Yogi Adityanath, ein Hindu-Mönch, der im abgelaufenen Wahlkampf die Mohammedaner zu Sündenböcken stempelt und diese als Hauptfeinde der hinduistischen Mehrheit betrachtet, sorgt sich rührend um die weiblichen Rinder: Im Frühjahr 2021, an einem der Höhepunkte der Covid-Seuche, bemüht er sich um Fieberthermometer sowie um Apparate, die den Blutsauerstoff der Kühe messen. Dies in einer Zeit, wo für die Bevölkerung der Provinz viel zu wenig Sauerstoffgeräte zur Beatmung zur Verfügung stehen.

Übrigens: In den Gnadenhöfen können Produkte erworben werden, die alle Kuh-Urin enthalt, da der Harn als antibakteriell wirksam gilt: Bodenreinigungsflüssigkeiten, Aftershave, Desinfektionsmittel.

Eine weitere Methode, die Zahl der streunenden Kühe zu verringern, ist eine Kampagne der Provinzregierung, um Bauern zur Adoption zumindest eines Tieres zu bewegen. Auf diese Weise sind rund 103.000 Kühe untergekommen. Die Behörden belohnen den Bauern mit einem Zuschuss für die Futtermittel, umgerechnet 35 Cent pro Tag. Damit kann die Hälfte des Futters bezahlt werden.

Es bleibt abzuwarten, ob bei der laufenden Wahl wieder die regierende BJP die Oberhand behält. Angesichts der Lage der Kleinbauern eine gewisse Herausforderung für die strenggläubige Provinzregierung.

Das könnte Sie auch interessieren